Goldspur

Der Ewigkeit auf der Spur

Einführung in das babylonische Gilgamesh-Epos

Uruk Zikkurat

By on 16. April 2020

Uruk Zikkurat

Das Zikkurat von Uruk als Sinnbild für den biblischen Turmbau zu Babel, der sich symbolisch gesehen im babylonischen Gilgamesh-Epos findet.

Einführung ins Gilgamesh-Epos

Entstehungsgeschichte

Um 1500 vor Christus – auf zwölf Tafeln

Das Gilgamesh-Epos entstand zwischen 1500 und 1000 v. Chr. Es besteht aus zwölf Tafeln. Diese stammen jedoch aus verschiedenen Zeiten und wurden an verschiedenen Orten mit unterschiedlichen Inhalten gefunden. Entsprechend gibt es ältere und jüngere Versionen. Die Tafeln sind zum Teil unvollständig und einige wurde überschrieben oder neu geschrieben. Dabei fehlen in älteren Versionen auch häufig Zeilen, welche mitunter durch Inhalte aus jüngeren Tafeln ergänzt werden können [1].

Die erste Heldengeschichte 

Das Gilgamesh-Epos gilt als die erste schriftlich niedergeschriebene Heldengeschichte der Menschheit. Es handelt von König Gilgamesh, der in seinen jungen Jahren ein grausamer Despot war. Doch nach dem Tod seines besten Freundes Enkidu machte er sich auf, um das ewige Leben zu gewinnen. Dazu wollte er über das Meer fahren, zu seinem Urahn, der die grosse Flut überlebt hatte, um ihn nach dem Geheimnis des Lebens zu fragen.

Interpretation der älteren sumerischen Quellen

Neuerzählung aus der Perspektive des Mannes

Das babylonische Gilgamesh-Epos ist eine Interpretation und Weiterführung der sumerischen Mythologie von Inanna, der sumerische Göttin der Liebe  (um 2500 v. Chr. und älter) und erzählt die Geschichte aus der Perspektive des Mannes als Held.
Bei beiden handelt es sich um alte Quellen aus dem Zweistromland (zwischen Euphrat und Tigris). Sie liegen jedoch tausend Jahre und mehr auseinander (s. Von Sumer bis Babylon – Hintergründe).

Offene Verherrlichung der Gewalt und Verehrung des Gottes der Luft

Im Vergleich zur älteren sumerischen Überlieferung gibt das Gilgamesh-Epos jedoch eine neue Stossrichtung vor. Vor allem die jüngeren Versionen verherrlichen Gewalt und die Unterdrückung des Weiblichen, der Frauen, des Volkes und des Landes. So ist denn auch EnLil, der Gott der Luft, der stürmische und eroberungswütige Männlichkeit symbolisiert, in Babylon zum höchsten Gott aufgestiegen.

Unterdrückung starker Weiblichkeit im Gilgamesh-Epos

Gleich zu Beginn des Epos wird Gilgamesh als grausamer Despot beschrieben, der Land und Leute unterjocht. So tötet er im Kampf junge Männer und beansprucht als Herrscher das Recht der ersten Nacht (das heisst die Entjungferung jeder Braut im Reich). 
Im weiterem Verlauf des Epos sind zudem starke Frauenfiguren, wie sie noch in der sumerischen Überlieferung zu finden sind, entweder ganz entfernt oderabstrahiert (zum Beispiel als Vulkan), oder zu Monstern mutiert (Chumbaba). Um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen, beschimpft Gilgamesh die Göttin der Liebe selbst als Hure und zieht so den Zorn der Götter auf sich. [S. Gilgamesh und die Göttin der Liebe als Hure.]

Auflehnung gegen das Schicksal und höhere Ordnungen (MUTTER und VATER)

Im wörtlichen Text des Epos wird Gilgamesh als starker Mann beschrieben, der vor nichts zurückschreckt und damit überall durchkommt. Konkret lehnt er sich so letztlich gegen sein Schicksal auf, indem er sich mit Gewalt nimmt, was er will, und selbst vor dem Heiligsten keinen Respekt hat. Indem er dabei auch höhere Ordnungen und jede Erkenntnis der Wahrheit missachtet und die Umstände durch üble Taten seinem Willen unterwirft, vergewaltigt er bildhaft gesprochen die MUTTER (das Leben selbst) und tötet den VATER (die ewigen Ordnungen).

Grundlage für viele Überlieferungen

Im Gilgamesh-Epos wird auch die grosse Flut erwähnt.
Überhaupt sind viele Themen des Epos in spätere Mythologien und Sagen eingeflossen, zum Beispiel in jüdische Lehren und in griechische Sagen (wie König Ödipus oder auch die Odyssee). Die Parzival-Legende und J.R.R. Tolkiens Trilogie Der Herr der Ringe sind weitere Adaptionen des Epos.

Sargon von Akkad

Sargon von Akkad – ein Modell für Gilgamesh

Die Sargon-Legende

Sargon von Akkad  (um 2300 v. Chr.) war der erste Herrscher, der den Anspruch stellte, ein Weltreich zu regieren (s. Abb. rechts [2] und in Wikipedia). Zurzeit Babylons war er bereits als historischer Herrscher zu göttlichem Ruhm aufgestiegen und diente wohl als Modell für den babylonischen König Gilgamesh.
Interessant ist es darum, bei der Betrachtung des Gilgamesh-Epos auch die um einiges ältere Sargon-Legende beizuziehen. Darin beschreibt sich Sargon selbst als Findelkind, das in einem Weidekorb aus dem Fluss gezogen worden war und so an den Hof des Königs gelangte.

Tolkiens «Der Herr der Ringe» als moderne Variante des Gilgamesh-Epos

Sauron-Aragorn als zwei verschiedene Seiten Sargons

J.R.R. Tolkien war Professor für alte Sprachen und kannte das Gilgamesh-Epos. Eine der Hauptfiguren in der Trilogie Der Herr der Ringe heisst “Bilbo” und stellt einen Persönlichkeitsaspekt des Gilgamesh dar oder des «Bilgamesh», wie der Name auch übersetzt worden ist. Als weitere Persönlichkeitsaspekte des Königs stehen Sauron und Aragorn für dessen böse und gute Seite.
Dabei wird das, was im Gilgamesh-Epos verdeckt durch die Symbole vermittelt wird, in “Der Herr der Ringe” deutlich: Bevor der gute König kommen kann, muss der dunkle Herrscher (Symbol für das Ego) auf dem Heldenweg überwunden werden.

Die akkadische Kultur – Vorläufer Babylons

Sargon baute im Zweistromland seine neue Stadt Akkad und wurde damit zum Begründer des akkadischen Reiches (um 2300 v. Chr.). Die ehemals sumerische Bevölkerung hatte sich mit semitischen Nomaden, die ins Zweistromland eingewandert waren, vermischt. So bezeichnete sich auch Sargon selbst als Sohn einer Priesterin und eines Wilden aus den Bergen.
Um 1900 v. Chr. ging aus der akkadischen Kultur die babylonische hervor.

Babylon und die neue Weltordnung der Macht

Verzerrung der ursprünglichen Botschaft

Die Inhalte des babylonischen Gilgamesh-Epos sind über mehrere Jahrhunderte entstanden (um 1500 v. Chr.). Dabei sind die Texte zum Teil verstümmelt, verändert und überschrieben worden. Indem so die ursprüngliche Botschaft verwischt worden ist, ist das erste „kollektive Geheimnis“ der Menschheit entstanden.
Denn die tiefe Weisheit der älteren sumerischen Überlieferung ist zwar noch immer in den Symbolen und Bildern vorhanden, wird aber durch die jüngeren Formulierungen verwässert oder verzerrt. Dies führt dazu, dass die Aussagen des wörtlichen Textes häufig nicht mit den Bildern und Symbolen übereinstimmen. Vielmehr widersprechen sie sich gegenseitig, was die Deutung des Epos sehr anspruchsvoll macht.

Die neue Realität: alle Macht dem rücksichtslosen Gewaltmenschen

Hinter den veränderten Texten steckt offenbar das Bestreben, König Gilgamesh als despotischem Herrscher, Vergewaltiger und Unterdrücker in seiner „Göttlichkeit“ zu legitimieren. Dadurch wird eine neue kollektive Realität geschaffen und eine neue Weltordnung installiert. Wahrer Held ist nun, wer sich rücksichtslos nimmt, was er will. So schreckt auch Gilgamesh vor nichts zurück und dringt sogar in den Bereich der Götter vor, um sich auf diese Weise ewigen Ruhm zu verschaffen.

Aber: Die Symbole lügen nicht.

Die Wahrheit in den Symbolen

Betrachtet man hingegen die vielen Symbole, die im Gilgamesh-Epos vorkommen, dann ergibt sich ein tieferer Sinn mit einer allgemeingültigen Botschaft. Diese handelt vom Weg des Menschen zu Ganzheit und ewigem Leben. Die Deutung der Symbole bringt auch die harte Wahrheit ans Licht, dass der fehlerhafte Mensch geläutert werden muss.

In der Auseinandersetzung mit dem Gilgamesh-Epos drängt sich darum diese Schlussfolgerungen auf: 

Das babylonische Gilgamesh-Epos selbst stellt die babylonische Sprachverwirrung und auch den Turmbau zu Babel dar, von welchen im Alten Testament der Bibel die Rede ist[3].

Die babylonische Sprachverwirrung: “Double-Bind”-Botschaften

Widersprüche in den verbalen und symbolischen Aussagen

Eine “Sprachverwirrung” entsteht, indem die wörtlichen Aussagen des Epos nicht mit der Botschaft seiner Symbole übereinstimmen, sondern diesen widersprechen.
Die Wörter, die sich an den Verstand (Seele, Denken) richten, verherrlichen Gilgamesh in wiederkehrenden Versen wie Mantras als siegreichen Gewaltherrscher. Die Bilder und Symbole hingegen, die den Körper ansprechen, erzählen eine vollkommen andere Geschichte, nämlich jene von einem persönlichen Zerbruch und Aufbruch des Menschen auf der Suche nach dem ewigen Leben.

Double-Bind: Verwirrung und Lähmung des Empfängers

So ist das erwähnte Dilemma zwischen Wort und Symbol vor allem in den jüngeren Versionen zu finden und ist geeignet, den Empfänger in Verwirrung und in ein Gefühl von Ohnmacht zu stürzen. Denn es enthält sogenannte “Double-Bind” Botschaften, die gar nicht erfüllt werden können und darum lähmend wirken (wie zum Beispiel: “Wasch mich, aber macht meinen Pelz nicht nass!”). Eine zentrale “Double-Bind”-Botschaft des Gilgamesh-Epos kann so formuliert werden: “Wahrer Held mit göttlichen Ruhm ist, wer vor nichts zurückschreckt und sogar über Leichen geht. Er gewinnt alles. Aber wer Unrecht tut, wird von den Göttern bestraft und verliert alles.” – eine Schlange, die sich in den Schwanz beisst.

“Turmbau zu Babel”: chronologische Betrachtung

Chronologische oder verschachtelte Erzählung?

Ebenfalls für die Deutung der alten Überlieferungen entscheidend ist die Frage, wie man den Ablauf des Geschehens interpretiert. Also: Ist die Handlung chronologisch, als Aneinanderreihung von Ereignissen zu verstehen? – Oder muss sie nicht vielmehr als “verschachtelte” Erzählweise verstanden werden, in welcher dieselben Ereignisse aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt werden?

Verschachtelte Erzählung – drei Ebenen: Körper, Seele und Geist

Dabei werden meistens drei Ebenen betrachtet: Die Ebene des Körpers (Materie), die Ebene der Seele (Motiv) und die Ebene des Geistes. Bildhaft lassen sich diese Ebenen durch drei “Förmchen” darstellen, die zu einem Turm aufeinandergetürmt oder ineinander verschachtelt werden können:

Turmbau

Turmbau:
chronologische Betrachtung

Tiefe Weisheit als «box in boxes»

Verschachtelte Erzählweise:
tiefe Weisheit (Box in Boxes) 

Die drei Bereiche: Körper – Seele – Geist

Dabei enthält das Gilgamesh-Epos in drei Teilen Aussagen zu diesen drei Bereichen:

  • Körper: Was ist tatsächlich in der materiellen Wirklichkeit geschehen?
  • Seele: Was hat sich im Bereich der Gefühle, Gedanken und des Willens zugetragen und welche Motive waren im Spiel? Dieser Abschnitt enthält die meisten Bilder und Symbole.
  • Geist: Wie ist das Geschehen aus einer Meta-Ebene oder im Kontext höherer Ordnungen (“Gott”) zu beurteilen? Und was ist für den Menschen wichtig?

(Zur Dreiteilung s. auch Der Mensch, 3-in-1; Körper, Seele und Geist und Das Heiligtum 3-in-1 als Symbol für Ganzheit.)

Beim Gilgamesh-Epos sind beide Deutungsvarianten möglich, sowohl der “Turmbau” (simple Aneinanderreihung von Ereignissen) als auch die verschachtelte Erzählung (“Box in Boxes”).

Dazu im Einzelnen:

Turmbau – chronologische Erzählung: Unrecht bis in den Himmel

Die jüdische Überlieferung, das Alte Testament der Bibel, erzählt, dass die Menschen in Babylon einen Turm bis zum Himmel bauten, um sich “einen Namen” zu machen (s. Der Turm zu Babel” im Bibelserver).
Im übertragenen Sinn kann man diesen „Turm“ im Gilgamesh-Epos sehen. Liest man die Erzählung chronologisch, so türmen sich auf der Grundlage der ersten Untaten des Herrschers im Bereich der Materie immer weitere auf, die zuletzt bis in den Himmel reichen.
Zu diesem “Turm” passt sinnigerweise die Bauweise des Zikkurats als der Palast des Herrschers, der aus drei aufeinander gebauten Bereichen als “Turm” dasteht (siehe Titelbild).

Verschachtelte Erzählung, Weisheit – “Box in Boxes” – Körper, Seele, Geist

Betrachtet man das Epos aber genauer, entdeckt man darin drei Unterteilungen, in denen sich gewisse Abläufe wiederholen. Die verschachtelte Erzählweise beleuchtet dabei das Thema aus drei verschiedenen Perspektiven und führt vom Körper und der Materie, über die Motivation und das Seelenleben des Helden bis zum innersten Kern der geistigen Wahrheit.

Die drei Ebenen im Gilgamesh-Epos

  • Körper/Materie: Zuerst wird geschildert, was sich in der körperlich-materiellen Realität zugetragen hat (diese Episode endet mit dem Sterben von Gilgameshs bestem “Freund”, Enkidu).
  • Seele/Motiv: In einer zweiten Phase macht sich Gilgamesh auf, um das ewige Leben zu gewinnen. Dabei muss er Hindernisse überwinden und die Liebe finden. (Diese Episode endet mit den Wassern des Todes).
  • Geist/Meta-Ebene: Die dritte Phase führt Gilgamesh, den Menschen, jenseits der Wasser des Todes zu dem Mann, der die Grosse Flut überlebt hat. Von ihm erfährt er, wie das ewige Leben gewonnen wird und der Mensch in den Stand der Götter gelangt. Dabei wird ihm sein Versagen vor Augen geführt. 

Die erste Heldensage der Menschheit

Die Symbole – Verständnis für die Tiefe der Existenz

Das verschachtelte Verständnis entspricht auch der sumerischen Erzählweise. Sie führt den Leser immer tiefer in die Geheimnisse der Existenz hinein, die sich zwischen Himmel und Erde, Geist und Materie bewegt.

So gesehen enthält das Gilgamesh-Epos tatsächlich tiefe Weisheit und ist es wert, als die erste schriftliche Heldensage der Menschheit bezeichnet zu werden.

Achtung Gefahr! Paardynamik (der Animus der Frau)

Weiter geht es mit:

Zusammenfassung des Gilgamesh-Epos
Start des Epos: Gilgamesh – Königgott und Despot von Uruk   

Erwähnte Überlieferungen:

Inanna, die sumerische Göttin der Liebe (Zusammenfassung)
Die Parzival-Legende
Der Herr der Ringe

Weiterführende Texte:

Der Gott der Luft
Die Sprache der Bilder und der rationale Verstand
Bilder und Symbole – die Sprache des Unbewussten
Der Heldenweg
Königsherrschaft im Leben

Nachweise:

[1] Das Epos als Ganzes, mit dem Inhalt aller zwölf Tafeln und ein paar hilfreichen Ausführungen, findet man unter diesem Link: https://www.lyrik.ch/lyrik/spur1/gilgame/gilgam01.htm

[2] Der Unbekannte (Wikipedia): Bronzekopf eines Königs, gefunden in Ninive, Sargon oder seinen Enkel Naram-Sin darstellend. Die Beschädigung an der Augenpartie erfolgte bereits in historischer Zeit.

[3] Altes Testament der Bibel, 1. Buch des Mose, Kapitel 11, 1-9 (im Bibelserver).


Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Top

Newsletter Abonnieren

We respect your email privacy

Newsletter abonnieren

You have successfully subscribed to the newsletter

There was an error while trying to send your request. Please try again.

Goldspur will use the information you provide on this form to be in touch with you and to provide updates and marketing.