Die Wüstenerfahrung – Bewährung in Mangel und Entbehrungen

Wüste – die dritte Phase des Heldenweges

Nach seinem wahrnehmbaren Bekenntnis zum Weg der Liebe (Initiation) wird der Held in Mangel und Entbehrungen geführt. In dieser Wüstenerfahrung wird geprüft, ob sein guter Wille auch in Mangel und Widerständen bestehen bleibt. Gefragt sind jetzt Disziplin und Enthaltsamkeit. Dabei wird Kontrolle über den Körper und die Triebe geübt.

1. Widerstände aller Art

In dieser dritten Phase des Heldenweges wird der Held geprüft, ob er auch ohne sichtbaren Erfolg seiner Vision treu bleibt und durchhält. Er muss „unten durch“. Das Leben bringt ihn in Situationen, in denen er sich in niederer Arbeit bewähren muss. Er muss „Aschenarbeit“ leisten, die seines Standes nicht würdig ist, und so Bescheidenheit, Treue, Hingabe und Dienstbereitschaft unter Beweis stellen.

Beispiele:
Im Märchen Der Eisenhans muss sich der Königssohn in Küchendienst und Gartenarbeit bewähren.
 Aschenputtel wird von der bösen Stiefmutter und deren verwöhnten Töchtern schikaniert und muss ihnen zudienen.

Die wahre Identität des Königssohns oder Königstochter ist dabei kein Thema und wird verdeckt gehalten. Der Held / die Heldin gibt in der Bewährungsprobe sein/ihr Bestes und widersteht der Versuchung, durch edle Herkunft oder andere Attribute eine bessere Position zu erlangen.

2. Versuchungen

In dieser Phase wird der Held mit seinen Trieben konfrontiert, die in den menschlichen Grundbedürfnissen wurzeln. Im Mangel melden sie sich verstärkt zu Wort. Durch Enthaltsamkeit und Disziplin werden sie „ausgehungert“ und unter den Willen des Bewusstseins gebracht. So wird die Macht des Egos über den Menschen schwächer, und sein Geist, sein Bewusstsein wird gestärkt.

Der Mensch wird in allen drei Lebensbereichen, in Körper, Seele und Geist «versucht», also geprüft und überwindet durch Enthaltsamkeit:

1. Körper: Der Körpertrieb wird durch Fasten und sexuelle Enthaltsamkeit (Freiraum für den Körper des Anderen) überwunden.
2. Seele: Der emotionale Trieb wird durch Selbstbeherrschung (Containment; Verzicht auf Drama) und Eigenverantwortung (Verzicht auf Schuldzuweisung) überwunden. Emotionale Enthaltsamkeit gibt der Seele des Gegenübers Freiraum und Luft.
3. Geist: Statt Macht wird Liebe gelebt. (Das Bedürfnis nach Macht wurzelt in der Angst welche ihre Ursache in einem Mangel an Liebe und Vertrauen hat.)

(Mehr s. Überwinden in Versuchungen)

3. Fasten und Enthaltsamkeit als geistige Wüstenerfahrung

Geistige Lehren sehen in der Übung des Fastens einen wichtigen Schritt auf den Weg zum Ziel des Menschen: Ganzheit.
Das körperliche Fasten drängt dem Menschen auch emotionales Fasten auf, denn bei körperlichem Mangel (Hunger) werden auch negative Emotionen verstärkt, wie Entmutigung oder Aggressionen. Indem der Mensch sich ihrer bewusst wird, werdung werden auch geistiegen Bereich heilsame Prozesse angestossen.

Von Jesus wird berichtet, dass er nach 40 Tagen Fasten in der Wüste in allen drei Bereichen versucht wurde (s.o. und Die Versuchungen Jesu).

Die Wüstenerfahrung – Überwinden durch Liebe und Vertrauen

Die Versuchung ist immer, im Mangel aus einer Position der Macht das zu nehmen, was fehlt. 

Aber wahre Liebe kennt keinen Mangel. Sie ist Fülle.
Wahre Liebe vertraut, dass alles Nötige gegeben wird. Sie nimmt nicht, sondern gibt.

Wahre Liebe gibt Freiraum und gibt sich bedingungslos hin.

Haben sich der Held und die Heldin in Mangel und Entbehrungen bewährt, werden sie als nächstes in Situationen des Erfolgs geführt. Dort wartet die Versuchung der Macht in anderer Gestalt.

Weiter geht es mit:

Die vierte Phase des Heldenweges: Dienst im Erfolg

Weiterführende Texte:

Überwinden in Versuchungen
Der Trieb
Das Ego
Das menschliche Bewusstsein

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Die zweite Phase des Heldenweges – Initiation
Der Heldenweg

Erwähnte Überlieferungen:

Die Versuchungen Jesu
Der Eisenhans, Im fremden Schloss
Aschenputtel