Die gute Königin
Es war einmal eine Königin, die sass am Fenster und stickte. Der Fensterrahmen war aus schwarzem Ebenholz. Alles war still und draussen fiel der Schnee. Es war schon Monate her, seit sie ihren Gemahl zuletzt gesehen hatte. Der König war mit seinem Gefolge unterwegs. Er hatte versprochen, vor Weihnachten wieder zuhause zu sein. Heute war Weihnachten, heiliger Abend. Ihr Herz war schwer. Sie blickte in die Schneeflocken, die vor dem Fenster wirbelten. Kleine und grosse, nah und fern und wieder nah. Einige fielen, andere stiegen wieder empor, wahrscheinlich von der warmen Luft des Fensters hochgetrieben. Es war schön, den weissen Punkten und Flecken zuzusehen und dabei alles zu vergessen. Der Königin wurde leicht schwindlig, ein angenehmer Schwindel…
Ganzheit, Weiss-Rot-Schwarz und die Geburt eines Kindes
Doch da – autsch! Ihre Hand war auf ihre Arbeit hinabgesunken, da hatte sie sich an der Nähnadel gestochen. Sie zog ihre Hand weg. Blut tropfte von ihrem Finger in den Schnee, der sich auf dem Fensterrahmen aus Ebenholz angesammelt hatte.
Die Königin starrte auf den roten Fleck im weissen Schnee im schwarzen Rahmen und dachte nach: Es war nun mehr als eine Woche seit ihrer letzten Blutung. Sie fasste sich ans Herz und träumte vor sich hin: „Vielleicht kommt er ja doch noch heute..“, dachte sie, „Das wäre das schönste Weihnachtsgeschenk! Oh, ich hoffe, dass er kommt! Und dann will ich mich ihm hingeben. Oh, ich möchte so gerne schwanger werden. – Ich wünsche mir eine Tochter, ein hübsches Mädchen, mit eine zarten Haut, weiss wie Schnee, mit rosigen Wangen und einem hübschen Mund – ja, rot… rot wie das Blut aus dem sie geboren wird… und mit schwarzem Haare, schwarz wie Ebenholz. Sie soll Liliana heissen. Rein und strahlend wie eine weisse Lilie soll sie sein!“