Die Stiefmutter und die Tochter
Die heranwachsende Tochter
(Jahre später, nachdem die gute Königin gestorben war und die Stiefmutter im Schloss eingezogen war…)
– Liliana! Wo bist du?! Wo steckst du bloss schon wieder???
– Hier bin ich, Mutter!
Vor ihr stand etwas atemlos eine hochgewachsene junge Frau, die immer hübscher wurde. Über ihren langen Beinen begann sich ein weiblicher Körper zu formen. Ihr dichtes, schwarzes Haar hatte sie achtlos im Nacken zusammengebunden, eine Strähne fiel ihr frech ins Gesicht. Auf ihrer zarten, hellen Haut leuchteten erhitzte rote Wangen, ihre stahlblauen Augen blitzten, während ihr strahlendes Lächeln beim Anblick der Mutter erstarrte.
Die Stiefmutter
Die Stiefmutter fragte mit einem kalten, drohenden Unterton in der Stimme:
– Wo bist du gewesen ?
Liliana starrte zu Boden. Die Mutter sprach nun noch langsamer:
– Schon wieder? Hast du schon wieder das Schloss verlassen??? Du weißt, dass ich es nicht dulde, wenn du dich mit diesem Gesinde rumtreibst – und wie du wieder aussiehst… Ich werde diese Kleider verbrennen lassen…!
Liliana trug Junker-Kleider, Pumphosen die in Stiefeln steckten, und ein übergrosses Hemd, das sie um ihre Taille zusammengeknotet hatte.
Freiheitsdrang und der Jäger
Sie hatte den Jäger wieder einmal überredet, ja sie hatte gebettelt, dass er sie mitnehmen möge zu Pferd, auf seine Tour durch den Wald. Schliesslich hatte er widerstrebend eingewilligt, denn er wusste, das es ihm Ärger einbringen könnte, ja ihn sogar seine Stelle kosten könnte. Aber sie hatte ihm versprochen, es niemandem zu sagen. Vor Jahren, als sie noch ein Mädchen war, hatte er ihr das Reiten beigebracht. Sie liebte Pferde, sie liebte es, durch die Ebene zu galoppieren und den frischen Wind in ihrem Gesicht zu spüren!
– Aber Mutter…
– Nichts da! Du sollst dich schämen! Geh auf dein Zimmer und bleib dort! Hast du verstanden? Du wirst heute Abend, wenn dein Vater mit dem Gefolge kommt, nicht mit uns essen! Du darfst ihn nur kurz begrüssen. Ich lasse dir das Kleid hochschicken, das du tragen wirst. Danach wirst du sogleich wieder auf dein Zimmer zurückkehren…!
– Aber Mutter..!
– Keine Widerrede! Geh jetzt!