Goldspur

Der Ewigkeit auf der Spur

Das Grosse Weibliche, das Leben selbst, in der Unterwelt 

"Heilige Hochzeit", Elisabeth Baldenweg (2022)

By on 21. Februar 2022

"Heilige Hochzeit", Elisabeth Baldenweg (2022)

Das Grosse Weibliche in der Unterwelt

Die Überlieferungen sagen, dass das Leben selbst in die Unterwelt geraten ist. Die Leben spendende, gebärende und wiedergebärende Kraft ist durch das Grosse Weibliche, die Göttin symbolisiert. Der Umstand, dass es in der Unterwelt liegt, bedeutet zunächst einfach, dass es sich ausserhalb des Bewusstseins des Menschen befindet und für dessen Zugriff unerreichbar ist.
Die Unterwelt gilt aber auch als das Reich der Schatten und des Todes. Doch das Leben kann nicht sterben … Quantenphysiker sind sogar zum Schluss gekommen, dass alle Materie lebendig ist. – Nun, wenn dem so ist, lautet die grosse Frage: Warum gibt es denn überhaupt tote Materie? Oder: Gibt es überhaupt tote Materie? Und was ist mit der irdischen Realität des Todes? 
Welche Antworten bieten die Überlieferungen an und wie sind sie zu verstehen?

Zum grossen Weiblichen gehören: alle Frauen, alle Menschen, die Erde und die ganze Schöpfung:
Lebendige, empfangende und Realität gestaltende Materie (weiblich):
  • Die Frau, alle Frauen: Sie können Samen aufnehmen und neues Leben gebären.
  • Der menschliche Körper: Er nimmt Impulse des Bewusstseins („männlich“) auf und setzt sie in Worte, Taten und neue Realität um.
  • Das Kollektiv (Gruppe, Volk, die ganze Menschheit): Es reagiert auf Information, zum Beispiel auf Nachrichten, mit Stimmungen und Handlungen. Es nimmt auch die Instruktionen des Herrschers auf und gestaltet diesen entsprechend neue Realität (führt Weisungen aus, wie zum Beispiel den Bau von Strassen).
  • Die Erde: Sie kann Samen aufnehmen und Wachstum ermöglichen. Sie reagiert auch auf unterschiedlichste Impulse aus dem Kosmos oder aus menschlichem Verhalten, z. B. mit Klimaerwärmung.
  • Die ganze Schöpfung: Sie ist der Vergänglichkeit preisgegeben und damit in der „Unterwelt“.

 

Das Weibliche als lebendige Materie, die Samen oder Impulse aufnehmen und neue Realität gebären kann, gehört per Definition zum Unbewussten (s. Das Bewusstsein und das Unbewusste, König und Königin).

Dieser umfangreiche Beitrag behandelt folgende Themen:

  1. Die Unterwelt – ein grosses mythologisches Thema
  2. Warum ist das Grosse Weibliche in der Unterwelt?
  3. Die Entschlüsselung der Archetypen
  4. Das Leben im Unbewussten – Konsequenzen
  5. Standortbestimmung und Ausblick

 

[Für eine freie Erzählung als Einstieg s. Die Herrscherin der Unterwelt.]

1. Die Unterwelt – ein grosses mythologisches Thema

Die Herrscherin der Unterwelt

Die sumerische Mythologie von Inanna, der Göttin der Liebe, erzählt bereits davon, dass das Grossen Weibliche in die Unterwelt geraten ist. Es ist durch die Herrscherin der Unterwelt symbolisiert, mit anderen Worten durch die Grosse Mutter (Grossmutter), Herrin über Leben und Tod und Schicksalsgottheit.

Die Kräfte der Weisheit

Die Unterwelt ist ein Thema, das auch in viele andere Überlieferungen und Sagen eingeflossen ist. So erscheint in der griechischen Mythologie die Herrin der Unterwelt in der Gestalt der gefürchteten Medusa. Dieser Name enthält die Silbe «ME», welche in der sumerischen Überlieferung für die Kräfte der Weisheit steht. Tatsächlich verfügt die grosse Mutter als Schicksalsgöttin über tiefe Weisheit (ebenso wie auch der Vater, der Gott der Weisheit). Das Märchen “Frau Holle” ist eines der wenigen Märchen, in welchen die mächtige Schicksalsgöttin noch eine positive Rolle spielt. Auch im Märchen “Aschenputtel” tritt sie als die gute Fee auf.

Der Heldenweg durch die Unterwelt

In vielen Überlieferungen muss jedoch das Weibliche, das in der Unterwelt gefangen oder verloren ist, erlöst werden, bevor Friede und Fülle Einzug halten können.
Es ist der starke Held, der den Tod nicht fürchtet, der sich aufmacht, um für die Liebe zu kämpfen und sie wieder ans Licht zu holen. Berühmte Beispiele sind Orpheus und Eurydike oder Dionysios und Semele. Gemäss der jüdisch-christlichen Überlieferungen wird der Messias/Christus als der gesalbte Gottesheld die ganze Schöpfung von Krankheit und Tod (symbolisiert durch die Unterwelt) erlösen.

Die Feuerprobe

Der Weg durch die Unterwelt gehört zu jeder grossen Heldensage. Dabei stellt er ist die letzte Prüfung kurz vor dem hohen Ziel der Ganzheit und Einheit dar, welches auch zum ewigen Leben führt. In der Feuerprobe steht die ganze Existenz des Held und der Heldin auf dem Prüfstein, denn alles, wofür sie im Leben gekämpft haben, scheint sich in Luft aufzulösen. Gelingt es ihnen dennoch, um jeden Preis an ihrer Vision festzuhalten, dann wartet auf sie der Siegespreis: das versprochene Land, die Jungfrau und ein ewiges Königreich in Fülle.

2. Das grosse Weibliche in der Unterwelt – warum?

Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist: Warum ist das Weibliche in der Unterwelt? Und was hat das konkret zu bedeuten?

Die ältesten menschlichen Überlieferungen

Himmel und Erde davongetragen: die weibliche Seite der Existenz

Die Frage, warum das Weibliche in die Unterwelt geraten ist, wird bereits in der sumerischen Schöpfungsgeschichte (um 3000 v. Chr.) bildhaft thematisiert. Begann die Existenz noch in «himmlischer Unschuld» (symbolisiert durch die Jungfrau), ändert sich aber bald darauf alles. Die Mythologie erzählt, dass der Himmelsgott «die Himmel» davongetragen» hat, während der Gott der Luft «die Erde davongetragen» hat.

Was ist geschehen?

Himmel und Erde: gestorbene Liebe und Ausbeutung des Weiblichen (Körper und Materie) 

Während «die Himmel» ein Symbol für die reine Liebe darstellen, ist «die Erde» das Symbol für die lebendige Realität und den weiblichen Körper. Beide wurden «davongetragen» und sind somit nicht mehr da. Dies gilt sowohl für die Liebe als auch für ihre Frucht, das Leben. Die Liebe ist gestorben ist, weil der GOTT DER LUFT die ERDE davongetragen hat. Als Archetyp steht er für stürmische Macho-Männlichkeit, welche Macht (über Frauen und über die Materie) sucht, um konsumieren zu können. Der biblische Sündenfall-Bericht führt dieses Thema rund 2000 Jahre später aus.

Babylon und die Erschaffung der Welt aus der ermordeten Mutter

Bestätigt wird diese Deutung jedoch schon durch die babylonische Überlieferung, welche um 1500 v. Chr. die sumerische Überlieferung neu interpretierte und begann, die Unterwerfung des Weiblichen als Weltschöpfungsakt zu verherrlichen. [S. auch Einführung ins babylonische Gilgamesh-Epos.]

So erzählt die babylonische Mythologie diese Geschichte[1]: 

Marduk und der Mutterdrache

Nach einer Revolte im Götterhimmel hatten sich die männlichen Götter in die Luft abgesetzt. Denn TiAmaT, einst Jungfrau des Lebens, war zum zornigen Drachen der Meere geworden, und gebar nur noch Monster. Deshalb berieten sich die Götter, wie sie sie loswerden könnten. Da erhob sich der jugendliche (Macho-Gott) Marduk und versprach, das Problem zu lösen, falls ihm dadurch der höchste Platz im Götterhimmel zugesprochen würde. Die Götter willigten ein.

Marduk schuf nun sieben böse Winde (wovon der Wind der Verwirrung besonders erwähnt wird), die er einsetzte, um den Drachen in seinem Netz zu fangen. Das Tier erstarrte, so erzählt die babylonische Überlieferung, angesichts der Herrlichkeit des Gottes. Dies war nun die Gelegenheit, seinen langen Speer durch den geöffneten Mund des Mutterdrachens mitten in ihr Herz hineinzustossen.

Aus dem Leichnam der Grossen Mutter schuf Marduk daraufhin die Welt: aus dem unteren Teil die Erde und aus dem oberen Teil den Himmel und die Gestirne.

Bemerkungen, Erklärungen und Kommentar:

Die Weltschöpfung des Männlichen

Marduk ist als Frühlingsgott ebenfalls ein Archetyp für jugendliche Macho-Männlichkeit und damit von seiner Energie her mit EnLil, dem Gott der Luft, identisch. TiAmaT ist mit Inanna identisch. Denn die Silbe Ti oder Zi bedeutet Leben und AnNa oder A-m-A ist die Göttin, die vom Himmel (AN) hinabgestiegen ist und zur Mutter wurde. Es ist gut möglich, dass die Wörter «Mamma» wie auch «Amme» hier ihren Ursprung haben. (Das T am Ende des Wortes ist eine ägyptische weibliche Endung.)

So trug ja wie erwähnt bereits in der älteren sumerischen Mythologie der Gott der Luft die Erde (als Symbol für die Mutter und den weiblichen Körper) davon und bemächtigte sich so der Liebe und des Lebens. In der jüngeren babylonischen Mythologie wurde diese Tat jedoch darüber hinaus auch noch gerechtfertigt und gefeiert, indem starke Weiblichkeit als Monstrum dargestellt wurde.
Als mildernde Umstände kann man hier einbringen, dass zornige Weiblichkeit tatsächlich für Männer schreckenerregend sein kann.

[Mehr s. Marduk und die Erschaffung der Welt aus der ermordeten Mutter und Der Gott der Luft]

Drache ("Mutter")

So erzählen die ältesten Überlieferungen:
Das Weibliche ist aufgrund von Verletzung, Schmerz und Zorn in Negativität, das heisst in der Unterwelt, denn die reine Liebe («Jungfrau des Lebens») ist gestorben.

[Die ganze Geschichte wird in der sumerischen Mythologie von Inanna, der Göttin der Liebe ausführlich dargestellt und ist schon in der ersten Episode das Thema (s. In den ersten Tagen – die sumerische Schöpfungsgeschichte)].

Schlussfolgerungen

Das Weibliche: das Leben in der Materie

In einem Atemzug mit den schöpferischen, göttlich-geistigen Urkräften der Welt schildert die älteste Mythologie, die sumerische, also bereits schon die Negativität des Weiblichen. Dies gilt sowohl im Kleinen wie auch im Grossen. Denn das Leben selbst ist in der Materie verborgen, einerseits im Schoss der Frau und andererseits ausserhalb des menschlichen Bewusstseins, also im Unbewussten.

Die Unterwelt: Negativität aus Unterdrückung

Aus diesem Grund hat der Geist der Macht immer wieder Menschen bewegt, die Materie zu unterwerfen, das bedeutet einerseits, die Frau mit ihrem Körper zu missbrauchen, und andererseits, das Land mit seinen Ressourcen (Menschen und Rohstoffe) auszubeuten. Damit steht Thema Missbrauch im Raum, welcher zu Ohnmacht oder zu schäumender Wut des Weiblichen führen. 

[S. Ich bin Lilith, die dunkle Jungfrau.]

Von Ohnmacht zu Zorn: das verletzte Weibliche

«Gefangen» in Negativität, bildhaft gesprochen in der Unterwelt, und muss es daraus befreit oder erlöst werden. Dieses Thema mit den entsprechenden Bildern findet sich in vielen Überlieferungen der Menschheitsgeschichte.
So kommt die ohnmächtige Starre der jüngeren Frau zum Beispiel in Märchen wie Dornröschen und Schneewittchen zum Ausdruck. Mächtig zornige und rachsüchtige Weiblichkeit hingegen wird in den Überlieferungen durch Hexen, Harpyien, Flammenstiere oder andere Monster dargestellt. Weil starke Weiblichkeit und damit die Grosse Mutter als Schicksalsgöttin von unreifen Männern stets gefürchtet worden ist, ist sie auch verteufelt worden (S. auch Vulkane, der Schicksalsberg und die grosse Mutter und Maleficent – die dunkle Fee als Schicksalsgöttin.).

Weiblichkeit im Griff negativer Macho-Männlichkeit (Animus)!

Hierbei ist festzuhalten, dass sehr wohl Frauen wie auch das Grosse Weibliche ebenfalls im Griff derselben unreifen männlichen Macho-Energie sein können. Dies gilt, solange ihre männlichen Anteile nicht integriert sind (s. Der negative Animus als Teufel oder SchmerzkörperDer Schmerzkörper der Frau. Die Integration des Animus bedeutet unter anderem die Versöhnung mit der eigenen Schwäche.)
So kann also zornige Weiblichkeit ebenfalls sehr destruktiv sein. Dies kommt in der erwähnten sumerischen Überlieferung durch die Herrscherin der Unterwelt zum Ausdruck und im Gilgamesh-Epos im Zusammenhang mit der grossen Flut.

Tiefe Unbewusstheit: verdrängte negative Gefühle

Beide Reaktionen, sowohl die Ohnmacht wie auch die Wut sind aber eine Antwort auf dieselben Missstände, nämlich Lieblosigkeit, Missbrauch und Ausbeutung.
Diese Negativität ist jedoch selten am Licht des Lebens, denn sie ist unerwünscht, mit Scham beladen und wird darum als verhasste Schwäche ins Unbewusste verdrängt.
Doch sie ist dennoch da und wirkt mit ihrer destruktiven Energie aus dem Schatten. Aus dem Unbewussten überflutet sie den Körper zu negativen Emotionen und führt zu machtorientiertem Verhalten aus Angst vor weiteren Verletzungen oder aus Rache.

[S. Starke Emotionen und das Unbewusste und Lilith: verstörende Weiblichkeit und die Macht der Frau.]

Waldgrund (das Unbewusste im Bereich des Körpers)

3. Was bedeutet die Unterwelt?

Die Entschlüsselung der Archetypen

Die Mythen selbst sprechen in der Sprache des Unbewussten, nämlich in Bildern (s. Bilder und Symbole – die Magie des Unbewussten). Darum macht es auch Sinn, sich zu fragen, was diese bedeuten, sodass ihre Botschaft auch dem Bewusstsein zugänglich wird und man einen konkreten Bezug zum eigenen Leben herstellen kann.

Zuerst zur Frage:

Was genau gehört alles zum grossen Weiblichen?

Das Weibliche – lebendige und empfangende Materie

Das Grosse Weibliche stellt als «Göttin» eine geistige Kraft dar, und zwar das Leben selbst. Oder anders formuliert: Die weibliche Seite des schöpferischen Geistes ist lebendige und empfangende Materie, welche den Impuls des Bewusstseins (Geist, «männlich») empfängt und in materielle Realität umsetzt («gebiert»).

[S. Männlich und weiblich, die beiden Ur-Kräfte der Schöpfung.]

Aus dem konstruktiven (liebevollen) Zusammenwirken von männlich und weiblich, Geist und Materie, entsteht neue Realität.

[S. Männlich und weiblich und die Erschaffung neuer Realität.]

Zum grossen Weiblichen gehören alle Frauen, alle Menschen, die Erde und die ganze Schöpfung. Mehr:
Lebendige, empfangende und Realität gestaltende Materie (weiblich):
  • Die Frau, alle Frauen: Sie können Samen aufnehmen und neues Leben gebären.
  • Der menschliche Körper: Er nimmt Impulse des Bewusstseins („männlich“) auf und setzt sie in Worte, Taten und neue Realität um.
  • Das Kollektiv (Gruppe, Volk, die ganze Menschheit): Es reagiert auf Information, zum Beispiel auf Nachrichten, mit Stimmungen und Handlungen. Es nimmt auch die Instruktionen des Herrschers auf und gestaltet diesen entsprechend neue Realität (führt Weisungen aus, wie zum Beispiel den Bau von Strassen).
  • Die Erde: Sie kann Samen aufnehmen und Wachstum ermöglichen. Auch reagiert sie auf unterschiedliche Einwirkungen aus dem Kosmos oder aus dem menschlichem Verhalten.
  • Die ganze Schöpfung: Sie ist der Vergänglichkeit preisgegeben und damit in der „Unterwelt“.

 

Das Weibliche als lebendige Materie, die Samen oder Impulse aufnehmen und neue Realität gebären kann, gehört per Definition zum Unbewussten.

Die drei Aspekte des grossen Weiblichen

Das grosse Weibliche als lebendige Materie kennt dabei drei Formen, welche auch den drei Lebensphasen der Frau entsprechen:

Das Weibliche 3-in-1: Tochter (Jungfrau, Potenzial) - Mutter (Realität) - Grossmutter (Naturgewalten und Schicksal):
  • Tochter als Jungfrau (weiss) – Potenzial als der Äther oder das Meer aller Möglichkeiten.
  • Mutter (rot) – lebendige und Leben hervorbringende Realität (Quanten; das Kind symbolisiert die neue Wirklichkeit, die daraus geboren wird).
  • Gross-Mutter, die grosse Mutter (schwarz) – Lebenskraft in der Materie, die Naturgewalten und das Schicksal.

Gemeinsam bilden diese drei Aspekte die verschiedenen Erscheinungsformen der grossen «Göttin», wie sie von den Menschen schon lange vor einem männlichen Gott verehrt wurde:

[S. Weibliche Ganzheit – die Göttin, Weiss / Rot / Schwarz.]

Die Göttin im 3. Aspekt: das Grosse Weibliche in der Unterwelt (das Leben in der Materie)

Die Göttin der Unterwelt stellt den dritten Aspekt der weiblichen Seite Gottes dar, die grosse Mutter in der Unterwelt. Sie ist Herrin über Leben und Tod, Schicksalsgottheit (schwarz) und ihr Bereich ist das (unbewusste) Leben in der Materie und im Körper. So kommt alles Leben aus dem Unbewussten und kehrt (mit dem Zerfall der Materie) dahin zurück.
Es ist die grosse Mutter, die – im Einklang mit dem liebenden Vater – auch neues Leben oder anders formuliert neue Geburt oder Wiedergeburt schenkt.

[S. Das Leben und die Schlange: Auf- und Abstieg.]

Damit zur nächsten Frage:

Was bedeutet die Unterwelt?

Die Unterwelt: das Unbewusste

Die Unterwelt symbolisiert das Unbewusste, welches wiederum zwei Bedeutungen hat:

1. Gewöhnliche, «unschuldige» Unbewusstheit

Einerseits bedeutet das Unbewusste schlicht Abwesenheit von Bewusstsein (Geist, Meta-Ebene, s. Das menschliche Bewusstsein). Zum Bereich des unbewussten Lebens gehören Tiere und Pflanzen. Auch das menschliche Bewusstsein muss sich im Lauf des Aufwachsens zuerst entwickeln. Solange dies nicht der Fall ist, lebt der Mensch “natürlich unbewusst” und damit “unschuldig”. (Es gibt unzählige die automatischen Körperfunktionen und Programme, welche das Leben steuern, über Gene, Instinkte und Triebe ebenso wie frühkindliche Prägungen.)
Die grossen Mythen ermahnen den Menschen dazu, sein Bewusstsein zu entwickeln, um bewusst zu leben, mit anderen Worten zu lernen, das eigene Unbewusste (Muster, Prägungen) mit seinem Bewusstsein zu bestimmen (s. Selbstwirksamkeit – das Leben positiv gestalten. Damit übt er – mythologisch gesprochen – Königsherrschaft im eigenen Leben aus. Das ist das Ziel. 

2. Tiefe Unbewusstheit aus abgrundtiefer Negativität

Die zweite Bedeutung des Unbewussten ist abgrundtiefe Negativität, welche zu destruktiven Worten und Taten führt. Diese ist auch der Ort der Schatten und des Todes (der Tod als Gegenteil vom Leben, Nicht-Leben). Werden negative Gefühlen wie Mangel, Schmerz oder Zorn nicht aufgearbeitet, können sie sich Gier, Selbstsucht, Machtstreben und zuletzt zu mörderischem Hass entwickeln.

3. Konsumierte und gestorbene Liebe und der Sündenfall

Solche Wesenszüge werden als «tiefe Unbewusstheit» bezeichnet (denn sie beinhalten, dass man wähnt, das Recht zu haben, Unrecht zu handeln). Doch in Wahrheit wird man von negativen Gefühlen und Trieben bestimmt, was einem «Nicht-Leben» gleichkommt. In einem solchen Zustand sind Menschen ohne Liebe und damit geistig tot. Sie werden bildhaft zum Beispiel durch Zombies dargestellt.
Dieser Tod, der aufgrund von Mangel an Liebe und Negativität in die Existenz gekommen ist, wird denn auch als Fluch und “Erbsünde” dargestellt und als die Konsequenz des Sündenfalls (das “Verbot” lautete «Wenn ihr von der Frucht esst, werdet ihr sterben!». Die gegessene Frucht symbolisiert konsumierte Liebe, Liebe als Konsumgut, s. Der biblische Sündenfall-Bericht.)

[S. Das Bewusstsein und das Unbewusste und Das menschliche Bewusstsein.]

Schlussfolgerung: Das Weibliche in der Unterwelt bedeutet, dass die ganze Schöpfung Negativität, Mangel, Krankheit und letztlich dem Tod preisgegeben ist.

Toiletten im London Dungeon (2010)

4. Das Leben im Unbewussten – Konsequenzen

Konsequenzen für den Menschen

Was sind die Konsequenzen für den Menschen?

Abgesehen von der Tatsache des Todes spürt der Mensch die Folgen davon, dass das Leben selbst im Unbewussten ist, auf verschiedenste Weise:

Das Leben selbst – für den Menschen ein Geheimnis
  • Der Zugriff auf das Leben ist dem Menschen verwehrt. Leben entsteht, wenn die materiellen Voraussetzungen erfüllt sind und endet, wenn diese nicht mehr gegeben sind. Die Folge ist, dass der Mensch das Leben nur über materielle Umstände beeinflussen kann, mit anderen Worten …
  • Auch der Zugriff auf die lebendige Materie ist dem Menschen verwehrt. Das heisst er kann nicht „zaubern“. Er kann sich zwar mit seinem Geist Dinge vorstellen, aber sie nicht oder nur äusserst begrenzt materialisieren.

Das menschliche Bewusstsein – in einem unbewussten, «tierischen» Körper

Der Geist des Menschen wohnt in einem unbewussten, nämlich «tierischen» Körper, der die lebenswichtigen Funktionen unabhängig vom Bewusstsein steuert.

Der Kampf für die Liebe ­– gegen die Triebe und das Ego

Es gilt, Triebe und Treiber zu erkennen und zu beherrschen, um das Leben konstruktiv gestalten zu können, also zu Königsherrschaft im eigenen Leben zu gelangen. Wenn hingegen die Triebe herrschen, ist der Mensch unfrei, gefangen in impulsivem Verhalten und reflexartigen Reaktionen – Handeln vor Denken, s. Die Schlange im Kopf – das Reptiliengehirn).

  • Der Mensch muss sich auf den Heldenweg machen, um den Weg zurück zum Leben zu finden. Dabei gilt es, das Licht des liebenden Bewusstseins hinab bis ins tiefsten Strukturen des Unbewusste zu bringen. Dieser Weg beinhaltet fünf Prüfungsphasen, welche alle Bereiche seines Lebens abdecken.
  • Seinen grössten Feind, das Ego, überwindet der Mensch in der Feuerprobe. Diese letzte Prüfung, die ihm alles abverlangt und ihn auf den Grund seiner Existenz führt, ist Der Weg durch die Unterwelt. Dabei integriert er seine Schatten und gewinnt sein Selbst und ewige Leben.

Der Weg zurück zum Leben: nur über inneres Sterben

So muss der Mensch sich auf den Heldenweg begeben, um seinen Trieb zu überwinden (s. Die Vertreibung aus dem Paradies). Dabei kommt die Überwindung des Egos einem inneren Sterben gleich.

Im Sterben vereint sich das liebende Bewusstsein mit dem Unbewussten, das in der Unterwelt ist.

[S. Christus / Messias, der Gesalbte und Die Heilige Hochzeit.]

Dies ist auch sein Weg zurück zum Baum des Lebens, welcher Vollmacht über die Materie symbolisiert. Er wird gemäss der jüdischen Überlieferung von vier Cherubim (Engeln) bewacht, wovor einer die Flamme des zuckenden Schwertes hält, ein Bild für die Feuerprobe, an der es kein vorbei, sondern nur ein hindurch gibt.

Kollektive Konsequenzen: die gefangene oder gestorbene Gottheit

Die in der Materie «gefangene» Gottheit

Nicht zuletzt aufgrund dieser Mythen kam unter den Menschen wohl immer wieder der Gedanke auf, dass der Geist des Lebens, die Mutter-Gottheit in der Materie, in der Unterwelt «gefangen» oder «begraben» sei.
Und dem folgte die Vorstellung, dass, – wenn es gelänge, sie zu befreien, – dann auch das Mittel gefunden sei, die Welt zu heilen. Dies war zum Beispiel einer der Hauptgedanken der Alchemie, wie C.G. Jung ausführte:

Nicht der Mensch ist in erster Linie erlösungsbedürftig, sondern die im Stoff verlorene und schlafende Gottheit. [2] 

Tote Materie …?

Tatsächlich ist auch die Quantenphysik zum Schluss gekommen, dass theoretisch alle Materie «lebendig» ist, und zwar in dem Sinn, dass Quanten auf Bewusstsein reagieren.
Entsprechend müsste man weniger die Frage stellen: «Warum gibt es Leben?», sondern vielmehr die Frage:

«Wenn alle Materie lebendig ist, warum gibt es dann überhaupt tote Materie?».

Und die Antwort findet sich tatsächlich – bildhaft gesprochen – bereits in den frühen Überlieferungen, welche die Erschaffung der Welt aus der getöteten Mutter oder einem grossen Opfertier beschreiben.
Man kann es auch so formulieren, dass beim bewussten Auftreten des Menschen in der Welt Realitäten geschaffen wurden, welche sich auf Kosten der Liebe und zugunsten der Macht auswirken.

Muttermord – als weltschöpferische Befreiungstat

Dazu dieses starke Zitat von C.G. Jung:

Es gibt keine Bewusstheit ohne Unterscheidung von Gegensätzen. Das ist das [«männliche»] Vaterprinzip des Logos, der sich in unendlichem Kampf der Urwärme und der Urfinsternis des mütterlichen Schosses, eben der Unbewusstheit, entwindet. Keinen Konflikt, kein Leiden, keine Sünde scheuend, strebt die göttliche Neugier nach der Geburt. Unbewusstheit ist die Ursünde, das Böse schlechthin für den Logos. Seine weltschöpferische Befreiungstat aber ist Muttermord, und der [rationale] Geist, der sich in alle Höhen und Tiefen wagte, muss, wie Synesius sagte, auch die göttlichen Strafen erleiden, die Fesselung an den Felsen des Kaukasus. Denn keines kann sein ohne das andere, weil beide am Anfang Eines waren und am Ende wieder Eines sein werden. Bewusstsein kann nur existieren bei stetiger Anerkennung und Berücksichtigung des Unbewussten, wie alles Leben durch viele Tode hindurchgehen muss.[3]

Die Herrscherin der Unterwelt

Ganzheit durch Integration des Unbewussten

Befreiung aus der Unterwelt

Mit anderen Worten bedeutet Ganzheit immer auch die Anerkennung und Integration des Unbewussten. Dies führt zu Heil – Heilung – Heiligkeit.

So betonte C.G. Jung:

„Ganzheit umfasst unbewusste Inhalte“.[4] 

und:

„Die Integration des Unbewussten ins Bewusstsein hat Heilwirkung“.[5]

[S. Heilung: Was ans Licht kommt, wird selbst licht.]

 Dies führt zur nächsten Frage:

Wie kann also das Leben, das in der Materie «gefangen» ist, befreit werden?

Integration der Schatten 

Befreiung oder Erlösung geschieht, indem das Unbewusste, Beschämende oder Schmerzhafte ans Licht des Bewusstseins («VATER») gebracht, gesehen und gewürdigt wird. So werden auch die Schatten integriert, was zu Heil, Heilung oder anders formuliert zu Ganzheit führt.

Denn … so wieder C.G. Jung:

Die Mutter-Imago aber repräsentiert das Unbewusste, dessen Lebensnotwendigkeit es ebenso sehr ist, ans Bewusstsein angeschlossen zu sein, wie es für Letzteres unerlässlich ist, den Zusammenhang mit dem Unbewussten nicht zu verlieren.[6]

Einheit zwischen dem Bewusstseins und dem Unbewussten

Die Vereinigung des Bewusstseins mit dem Unbewussten ist in den Überlieferungen durch die «heilige» Hochzeit von König und Königin symbolisiert.

Denn was in der Unterwelt ist, ist nicht wirklich tot, sondern vom liebenden Bewusstsein getrennt. So harrt das Weibliche also auf Erlösung, und so ist folgerichtig auch bereits in der sumerischen Überlieferung das Nächste, was geschieht, dass der Vater und Gott der Weisheit sich auf den Weg in die Unterwelt macht. 

Heilung der Existenz: Erlösung durch den Vater

Der Vater und Gott der Weisheit: Liebe und Warmherzigkeit

Es ist der liebende VATER, der Himmelsgott oder «Vater im Himmel» selbst, der sich mitten in die Dunkelheit der Existenz hineingibt. Er sieht die Not, nimmt Schwäche an und weiss auch einen Ausweg, denn er hat Erfahrung und Weisheit.

Denn als ARCHETYP hat der Vater mit seiner Tochter («JUNGFRAU») seine weiblichen Anteile und damit reine, bedingungslose Liebe integriert, und mit dem Heranwachsen seiner Kinder hat er Warmherzigkeit gelernt.
Der Vater geht durch seinen «Sohn» (Kraft, Potenz) in die lebendige Materie ein, um darin den Samen (des Wortes) von der Liebe zu säen und so die neue Schöpfung zu initiieren (s. Die Vier der Familie und die Entstehung neuer Realität und Männliche Ganzheit, Gott, Vater – Sohn – Geist).

Der gute Sohn des Vaters: Hingabe an das Weibliche aus Gehorsam

Ungefähr 3000 Jahre nach der sumerischen Überlieferung griff Jesus dieses Thema wieder auf, indem er betonte, dass er im Namen des Vaters gekommen war und gemäss dessen Willen handelte. Er respektierte Frauen und sah ihre Not (s. Maria Magdalena und die Frau als Heldin).
Auch gab er mit seinen bildhaften Worten und Botschaften dem weiblichen Mutter-Element Raum, und verwendete alte, auch schamanische Bilder wie Saat und Ernte sprach oder das Samenkorn, das in die Erde fallen und «sterben» muss, um hundertfach Frucht zu bringen. Er selbst war ein “verwundeter Heiler” (s. Die heilige Wunde und Blut für Leben: Der Gral und der Kelch Christi).

5. Standortbestimmung und Ausblick

Aufarbeitung des Schwierigen und Schmerzhaften

Nach weiteren 2000 Jahren Menschheitsgeschichte sind diese Themen noch immer aktuell und weisen den Weg aus dem Dunkel ins Licht.

Versöhnung und Heilung

Die Überlieferungen lehren, dass es wichtig ist, das Schmerzhafte, Beschämende nicht auszublenden, sondern es anzuerkennen, zu verarbeiten und darin Versöhnung zu finden. Dies führt zu einer Integration des Schattens, wobei auch weggesperrte und «gefangene» Ressourcen wieder freigesetzt[7] werden und Heilung geschieht.

Kampf für die Liebe

Einen wichtigen Beitrag dazu haben die Frauen zu leisten. Als Quelle der Liebe und des Lebens müssen sie Versöhnung mit dem Leiden des Weiblichen finden und die Liebe wieder auferstehen lassen, wie es schon bei Inanna, der sumerischen Göttin der Liebe, geschah. Sie wurde getötet und am 3. Tag durch den liebenden Vater auferweckt und kehrte ins Leben zurück (s. Inannas Auferweckung durch den Vater und Der Heldenweg der Frau).

Heilung geschieht, indem Schmerz und Unrecht thematisiert und so ans Licht gebracht werden (s. Heilung: Was ans Licht kommt, wird selbst licht).

So ist zu hoffen, dass die Menschheit nach einem letzten Aufbäumen der Macht für den besseren Weg am Licht der Liebe bereit sein wird.

"Inanna" von Jamali

Nachweise:

[1] Ein Thema bei C.G. Jung, Gesammelte Werke, Band 5, Symbole der Wandlung, S. 324 § 375 ff.

[2] C.G. Jung, Gesammelte Werke, Band 12, Psychologie und Alchemie, S. 359, § 420 und mehr auch S. 487 § 511

[3] C.G. Jung, Gesammelte Werke, Band 9/I, „Die Archetypen und das kollektive Unbewusste“, S. 110, § 178 

[4] C.G. Jung, Gesammelte Werke, Band 12, Psychologie und Alchemie, S. 378 (Fussnote)

[5] C.G. Jung, Gesammelte Werke, Band 5, Symbole der Wandlung, S. 547 § 672

[6] C.G. Jung, Gesammelte Werke, Band 5, Symbole der Wandlung, S. 384 §457

[7] Dazu die Bibel: «Darum heißt es: ‘Hinaufgestiegen in die Höhe, hat er Gefangene gefangen geführt und den Menschen Gaben gegeben’.» (Eph 4,8 mit Hinweis auf Ps 68,19) .

Mythologische-geistige Hintergründe:

Der sumerische Schöpfungsbericht oder wie alles begann
EreshKiGal – von der Göttin des Himmels zur Herrin der Unterwelt
Marduk oder: Die Erschaffung der Welt aus der ermordeten Mutter (dem Mutter-Drachen)
Der Gott der Luft
Vertreibung aus dem Paradies
Die Erbsünde
Der Weg zurück zum Baum des Lebens
Die vier Cherubim
Blut für Leben: Der Gral und der Kelch Christi
Garbatis Medusa und #MeToo


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