Der Gefangene
Im hintersten Keller des geräumigen Schlosses befand sich ein finsterer Kerker. Hier war der Gefangene verwahrt. – Warum war er überhaupt hier? Sein Auftreten hatte gewissen Leuten missfallen, welche ihre Macht erhalten wollten. Er hatte sich auch furchtlos mit dem intriganten Berater des Königs angelegt, und war den üblen Machenschaften von «Schlangenzunge», wie er ihn nannte, auf die Spur gekommen. Darauf hatte dieser ihn verleumdet und kurzerhand ins Gefängnis werfen lassen. – Ob der König überhaupt davon wusste? Der König liess sich von ein paar auserwählten Männern beraten. Doch nicht alle meinten es gut mit dem Reich, der eine oder andere war durchaus auf seinen eigenen Vorteil bedacht. Über diese Dinge dachte der Gefangene im Gefängnis nach. Immer wieder tauchte der Gedanke an Rache in ihm auf.
Krieg!
Eines Tages wurde das Königreich von einer fremden Macht bedroht. Bereits hatten die Feinde die Grenzen überschritten! Im ganzen Schloss herrschten Panik und Alarm. Alle Verteidigungsressourcen wurden mobilisiert. Sogar die Wachen im Schloss und die Wachen des Gefängnisses in den Kellergewölben wurden abgezogen, weil sie „oben“ gebraucht wurden.
Der Gefangene kann entkommen – Aufbruch in die Freiheit
Damit war nun endlich die lang ersehnte Gelegenheit für den Gefangenen gekommen: Es gelang ihm in diesem unbewachten Augenblick, aus seiner Zelle auszubrechen!
Er stürzte hinaus, ohne sich umzusehen, stolperte durch lange Gänge, eilte hastig steile Treppen empor… Schon befand er sich im Schloss. Hungrig und verzweifelt suchte er einen Ausgang.
Wahllos stürmte er durch mehrere Räume.
Der runde Tisch des Königs
Plötzlich stand er – völlig überraschend – im grossen Saal der Räte, vor dem runden Tisch des Königs. Die Entscheidungsträger des Königs, die gerade ihre Krisensitzung abhielten, erstarrten, als sie den Entwichenen sahen.
Dieser bot ein Bild des Grauens: Er war abgemagert und ausgezehrt, seine Wangen waren eingefallen, sein Gesicht war schmutzig, seine Kleider hingen in Fetzen, seine Fingernägel waren abgehackt und schwarz, seine Haare und der Bart struppig und verfilzt. Die ganze Erscheinung machte mehr den Eindruck eines Tieres als eines Menschen!
Panik
Der Entwichene blickte gehetzt um sich und entdeckte auf einem Tisch Speisen, frisches Wasser, Wein… Ohne Nachzudenken ergriff er mit blossen Händen ein Hähnchen und steckte es sich in den Mund. Dann, mit einer fahrigen Bewegung, in der Absicht, zu entkommen, stiess er den Tisch und mit ihm auch noch weitere Stühle und Tische.
Es war ein Lärm und ein Durcheinander.
Schlangenzunge, der engste Berater des Königs, war erbleicht. Seine Stimme überschlug sich, als er schrie: «Wachen!!! Der Gefangene ist entkommen! Haltet ihn! Bindet ihn!!! Zurück in den Kerker mit ihm!»
Der gute König
Doch der König bewahrte die Ruhe und blickte den Gefangenen an. Er sagte ruhig: «Moment! Dich kenne ich doch…». Scharf wies er Schlangenzunge zurecht: «Schweig!» Wieder lag sein Blick auf dem entwichenen Gefangenen. Ja! Er erkannte ihn! Ruhig und gefasst sagte er: „Oh… Hallo..! Hier bist du also…! Lange warst du weg…“ Es betrachtete den Eindringling von oben bis unten und stellte fest: „Ja – es ist wahr! Du bist einer von uns. Du bist es…!» Nach einer Pause sagte er leise, wie in Gedanken, zu sich selber: «Wir sind verraten worden und nun haben wir das Desaster… du … du warst im Gefängnis – zu Unrecht…» Ein strenger Blick fiel auf Schlangenzunge, der sich duckte und am liebsten unter dem Tisch verschwunden wäre.
Entspannung
Der König wandte sich wieder dem Entwichenen zu, ging auf ihn zu und sagte: «Nun… komm!» Sanft aber bestimmt legte er seinen Arm um die Schulter des Verwahrlosten und führte ihn aus dem Raum in die Küche, wo er ihm zu essen gab, bis er satt war. Als nächstes ordnete er für den Ausreisser ein Bad an. Dieser wurde nun gewaschen und rasiert, seine Haare und Nägel wurden geschnitten. Anschliessend wurde er in ein warmes Zimmer geführt, wo ein weiches Bett stand. Der König sagte: „Ruh dich erst einmal richtig aus. Morgen schauen wir weiter!“
Zurückhaltung
Am nächsten Morgen kam der König persönlich mit einem Bund neuer Kleider zu ihm aufs Zimmer: «Zieh dich an. Du kommst heute mit in den Rat!». Auf dem Weg dorthin sagte er leise: „Setz dich dann neben mich. Schau einfach nur zu, hörst du! Schweige, höre zu und schau, wie das hier so läuft. Wenn ich deine Unterstützung brauche, sage ich es dir.“
Der hohe Rat staunte nicht schlecht, als der König mit seinem neuen Begleiter eintrat. Dieser war in seiner ordentlichen Erscheinung kaum wiederzuerkennen.
Neue Ressourcen und Sieg
Nun wurde die kritische Lage im Reich weiter erörtert und nach Lösungen gesucht. Schliesslich bat der König den Neuling zu sprechen. Dieser brachte wichtige Informationen hervor. Er hatte Beweise gegen Schlangenzunge, nämlich dass dieser hinter dem Rücken des Königs intrigiert hatte – im Interesse des Feindes! Der Neuling sprach stark und furchtlos, denn er hatte nichts mehr zu verlieren und alles zu gewinnen. Er deckte die üblen Machenschaften von Schlangenzunge auf. Der König enthob Schlangenzunge seines Amtes und liess ihn ins Gefängnis werfen. Er setzte stattdessen den Neuling als Berater ein. Dieser hatte auch auf die feindliche Bedrohung eine schlagende Antwort: Er konnte zusätzliche Streitkräfte mobilisieren, Verbündete, mit welchen das feindliche Heer erfolgreich in die Flucht geschlagen wurde.