Anna erzählt weiter:
Thomas war gegangen und ich wusste nicht einmal wohin. Zuerst war es mir egal, doch je länger er fort war, umso trauriger wurde ich. – Hatte ich zu hart reagiert?
Die Göttin der Liebe als Jungfrau (Phase 1)
Nun begann ich, mich wieder an die guten Zeiten, die wir hatten, zu erinnern … Sie waren jetzt endgültig vorbei.
Oh, wie ich mich grämte. – Ach, wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte! Da wäre so einiges, das ich gerne wieder gut gemacht hätte, einiges, das ich anders, ja besser machen würde …
Die Göttin der Liebe als Mutter (Phase 2)
Auch machte ich mir Sorgen um Thomas, er hatte so bleich ausgesehen und seine Augen waren leer, als er ging. Wo ging er wohl hin?
Phase 3: Die Göttin der Liebe als Göttin des Weinstocks
Als ich mich in tiefster Dunkelheit fühlte, meldete sich Kerstin bei mir und fragte, ob sie vorbeikommen dürfe. Natürlich hatte ich keine Lust, mich wieder mit all dem Schmerzhaften zu konfrontieren, aber es konnte ja kaum noch schlimmer werden.
Als Kerstin kam, sah sie mitgenommen und zerbrechlich aus.
Ohne lange Umschweife zu machen, kam sie zur Sache:
– Was geschehen ist, tut mir so leid, sagte sie: Es ist nicht recht, was ich getan habe, was ich dir angetan habe … Ich liess mich vom Moment hinreissen, von einem Moment der Schwäche, von einem Augenblick der Illusion …
Oh, mein Bruder! Ich bin deine Schwester! Ich bin deine Mutter!
Nach einem kurzen Zögern fuhr sie fort:
– Ich wusste nicht … Ich wusste damals nicht, was ich heute weiss: Thomas hat mich nicht wirklich geliebt. Für ihn war es wohl bloss eine Episode, ein Rettungsanker vielleicht … Aber nun habe ich verstanden: Er liebt dich, ja, er liebt nur dich. Ich bin ganz sicher. Er hat immer nur dich geliebt und er braucht dich!
Ihre Worte berührten mein Herz. Tränen stiegen mir in die Augen.
Ich schwieg, denn ich wusste nicht, was ich sagen sollte.
Kerstin fuhr fort:
– Ich denke, er schämt sich und weiss nicht, wie er dir wieder unter die Augen treten soll.
Dumuzis Mutter weinte. Sie blickte den erschlagenen wilden Stier an.
Nun hatte auch sie Tränen in den Augen, fuhr aber unbeirrt fort:
– Du, seine Frau, und seine Familie … Ihr seid für ihn das Wichtigste im Leben. Kann sein, dass er mich vorübergehend brauchte, um wieder mit seinen Gefühlen in Kontakt zu kommen … als Impuls von aussen … Aber … Bitte sei nicht zu hart mit ihm. Nimm ihn wieder an!
Ich spürte, wie nun alle Härte in meinem Herz zu schmelzen begann und Wärme sich ausbreitete. Kerstin blickte mich mit ihren dunklen Augen ernsthaft an und fuhr fort:
– Für mich ist klar: Unsere Sache ist beendet. Ich habe meinen Teil gelernt … Darum bin ich hier, um dir zu sagen, dass es mir leidtut, dass ich dir dabei weh getan habe. Bitte vergib mir!
Ich würde mein Schicksal mit dir teilen
Sie lächelte mich zaghaft an. Ich nickte.
Nach einer nachdenklichen Pause sagte ich schliesslich:
– Du liebst ihn, nicht wahr? Du liebst ihn sehr …?
Kerstin blickte in eine unbestimmte Ferne und lächelte:
– Ja, … sagte sie nachdenklich. Dann wandte sie sich mir zu und blickte mir in die Augen: Aber … ich liebe auch dich. – Und Thomas ist dein Mann!
Ich nickte und verspürte Hochachtung ihr gegenüber. Mit einem warmen Lächeln und wieder jenem Blick, der so schwer zu deuten war, fügte sie sanft hinzu:
– Die Liebe selber ist das grosse Geschenk für jeden, der liebt. – Mir ist Liebe geschenkt worden.
Als Inanna Geshtinannas Trauer sah, sprach sie sanft zu ihr.
Schon eine Weile spürte ich die Gegenwart von etwas Grösserem. In meiner Brust verschaffte sich nun ein bebender Schluchzer Raum und ich konnte nicht anders, als auf Kerstin zuzugehen und sie zu umarmen:
– Danke! Danke, dass du gekommen bist!, sagte ich: Du bist eine wunderbare Frau, eine starke Frau!
Sie erwiderte meine Umarmung, hielt mich fest, blickte mich an und sprach dann zärtlich:
– Geh zu ihm!
– Ich weiss nicht, wo er ist, antwortete ich wahrheitsgemäss.