Die Verfolgung der Frau durch den Drachen
Die alte Frau – das Weibliche
In der nordischen Sage vom Ritter und der Tötung des Drachen ist es nicht eine Jungfrau, sondern eine alte Frau, die vor dem Drachen gerettet werden muss. Die Jungfrau gewinnt der Held erst viel später. Dieser Umstand richtet einerseits den Fokus auf das uneigennützige Motiv des Helden. Andererseits lohnt sich auch ein Gedanke zur Frage, was es wohl mythologisch gesehen mit der alten Frau auf sich hat. Sieht man sie als Hinweis auf das grosse Weibliche, dann ist man im Einklang mit den ältesten menschlichen Überlieferungen, welche bereits die Unterwerfung der Materie unter den männlichen Geist der Macht (der Luft) thematisieren.
Babylon – Erschaffung der Welt aus dem getöteten Mutter-Drachen
Gemäss der babylonischen Überlieferung hatten die männlichen Götter das Weibliche in die Unterwelt verbannt und den Himmel für sich alleine eingenommen. Die grosse Mutter TiAmat (Göttin des Lebens) schäumte darüber vor Wut und gebar nur noch Monster. Die Götter waren ratlos. Doch Marduk, der Gott der Luft, sah darin seine Chance: Er schuf sieben böse Winde und verstrickte den Mutterdrachen in sein Netz der Intrige. Nachdem er sie auf diese Weise reglos gemacht hatte, stiess er sein Schwert in ihr Herz und tötete sie. Aus ihrem Leichnam schuf er daraufhin die sichtbare Welt, die Erde und den Kosmos (s. Marduk oder: Hat der Teufel die Welt geschaffen?). Marduk wurde in Babylon als siegreicher Held gefeiert und erhielt den obersten Platz im Götterhimmel.
Verfolgung: Projektion statt Integration
Dieses religiöse Bild gibt den kulturellen Wandel in der menschlichen geistigen Realität wieder. In Babylon begann die offene Verherrlichung der Macht durch Unterdrückung (s. Gilgamesh-Epos, Einführung).
Um die Unterwerfung von Land, Menschen, Frauen und Ressourcen zu rechtfertigen, musste das Weibliche als «böse» oder «schlecht» angeprangert werden. Eine derartige Umkehrung der Werte geschieht immer, wo die Macht herrscht. Die eigene Grausamkeit wird auf das Gegenüber projiziert. So werden Menschen als aufrührerische Masse unterjocht, die Natur wird als «wiederspenstig» bekämpft und ausgebeutet und Frauen werden als Wurzel allen Übels in Unterordnung gezwungen.
Der Drache als der weibliche Schmerzkörper