Warum musste Jesus Christus sterben?
Die kirchliche Lehre sagt: Jesus Christus starb wegen «unseren Sünden und Vergehungen». Doch was hat das konkret zu bedeuten? Musste er sterben, weil ich gestern eine Notlüge von mir gab und müsste ich jetzt deswegen auch noch wegen ihm ein schlechtes Gewissen haben?
Zur Frage, warum Jesus sterben musste, gibt es zwei unterschiedliche Zugänge, welche das Ganze erhellen. Der eine ist die mythologische Betrachtungsweise, welche von einer gefallenen Existenz spricht. Der andere Zugang ist die symbolisch-archetypische Bedeutung der Erschaffung von neuer Realität gemäss dem Akt der Zeugung eines Kindes.
[S. Männlich und weiblich und die Erschaffung neuer Realität.]
Nun zu den beiden Möglichkeiten, die obige Frage zu beantworten:
1. Der mythologische Zugang: Erlösung des Lebens aus der Unterwelt
Ein kollektives Problem: Die Schöpfung in der Unterwelt
Die Überlieferungen sprechen davon, dass die Schöpfung, welche als lebendige Materie das grosse Weibliche darstellt, in der Unterwelt ist. Dies ist das Reich der Schatten und des Todes, welches die Tatsache der Sterblichkeit und Unbewusstheit des Menschen aufgrund von Angst und Negativität («Sünde») bildhaft darstellt.
[S. Das Grosse Weibliche, das Leben selbst, in der Unterwelt; Der sumerische Schöpfungsbericht und Die grosse Erbsünde und der Fluch.]
Der Weg in die Unterwelt: nur über ein Sterben
Will der Vater in seinem liebenden Bewusstsein die Schöpfung retten, dann muss er sich also auf den Weg dahin begeben, wo sie sich befindet, das heisst ins Reich der Schatten und des Todes. Dieser Weg führt über das Sterben.
Wer würde das freiwillig auf sich nehmen? Nur wer weiss, dass das Leben selbst nicht sterben kann. Dies bedeutet das Vertrauen, dass die Seele, die immateriell ist, bestehen bleibt, auch wenn der Körper zerfällt. Hinzu kommt die Zuversicht, dass das vollkommene Bewusstsein (die göttlich-geistige schöpferische Kraft) auch wieder neue Materie, einen neuen Körper «anziehen» kann.
Der Same des Wortes und die neue Schöpfung
«Jesus Christus» bedeutet «gesalbter Retter». Er steht für Hingabe aus Liebe und für den gehorsamen Sohn des Vaters. In seiner Kraft begibt sich der liebende Vater in die Unterwelt, dorthin, wo das Leben selbst in Angst vor dem Tod «gefangen» ist und die Liebe gestorben ist.
Er befreit es, indem er den Samen des Wortes von der Liebe des Vaters sät, die stärker ist als der Tod. So initiiert er in der Dunkelheit und Unbewusstheit der materiellen Existenz eine neue geistige Schöpfung, die zum Licht des liebenden Bewusstseins hinwächst. Dieses ist eins mit dem Geist des Vaters, der ewig ist (s. Das Selbst).
2. Der symbolische Zugang: Die Zeugung neuen Lebens
Die Erschaffung von neuem Leben und neuer Realität vollzieht sich im kollektiven Kontext nicht anders als auf der menschlich-körperlichen Ebene. Das bedeutet, der (künftige) Vater geht mit Liebe in die lebendige Materie (Jungfrau als Potenzial oder Mutter als Realität) ein, um darin den Samen zu säen, welcher die neue Schöpfung initialisiert.
[S. Weibliche Ganzheit – die Göttin, Weiss / Rot / Schwarz.]
Er handelt dabei in der Kraft seines Sohnes, der seine Potenz symbolisiert (denn in ihm ist das Vermögen, einen Sohn zu erzeugen). Der Sohn sät – im Sterben der Kraft oder Potenz den Samen (des Wortes) in der Materien. Was jeder weiss und was darum als «Naturgesetz» erscheint, ist: die Kraft oder Potenz, die bei diesem Akt «stirbt», wird auch wieder aufstehen.
[S. Männliche Ganzheit, Gott, Vater – Sohn – Geist.]
Und was hat das mit mir zu tun?
Noch eine Bemerkung zur Frage am Anfang: Die Botschaft vom Sterben und der Auferstehung gibt Kraft und Hoffung, doch es ist es letztlich die Verantwortung jedes Einzelnen, sich der Macht zu enthalten und stattdessen die Realität der Liebe zu leben. (Dies kommt einem Sterben des Egos gleich; s. Vom Ego zum Selbst.)