Gil vor Enrico (Pate, «Godfather»)
Gilgamesh-Isimud vor Enki
Das Zusammentreffen mit Anna, als sie mich mit dem Wasser übergoss, hatte mich mehr aufgewühlt als erwartet.
Zunächst versuchte ich, sie zu vergessen, indem ich mich in meine Arbeit vertiefte. Ich habe ein Start-up-Unternehmen gegründet und suchte nun finanzielle Unterstützung. Zu diesem Zweck nahm ich mit meinem Patenonkel Enrico Kontakt auf.
Enrico lud mich gleich zum Essen ein. Er ist ein guter Typ, wirklich. Wir hatten ein anregendes Gespräch und er interessierte sich für mein Konzept. Aber dann sagte er, er habe zurzeit nicht so viel Liquidität, da er gerade plane, in ein anderes Unternehmen zu investieren. Als ich ihn fragend anschaute, sagte er:
– Ach ja, du kennst sie wohl, … Anna, ihr seid ja sogar verwandt. Sie hat ein interessantes Design-Projekt. Tatsächlich geht es in eine ähnliche Richtung wie deines. Vielleicht könntest du dich ja mal mit ihr kurzschliessen?
Uff! Das war ein Hammer! Mir wich der Boden unter den Füssen …
– Was ist?, wollte Enrico wissen. Offenbar hatte er meine Konsternation wahrgenommen: Ist da ein Problem???
– Na ja, nicht direkt, aber …
– Aber …? Enrico ermutigte mich freundlich weiterzusprechen.
– Es ist nur … Ich meine … Ich kenne Anna …
– Du kennst sie?! Umso besser!
– Ich kenne sie näher, … ein bisschen zu gut …
– Hm, sagte Enrico: Wie soll ich das verstehen …?
Er lehnte sich nach hinten, um mich mit mehr Distanz zu betrachten. Es fiel mir schwer, seinem Blick standzuhalten. Er kniff seine Augen zusammen und fokussierte mich hart:
– Du warst mit ihr im Bett …!
Die Negativdynamik überwunden
Das war mehr eine Feststellung als eine Frage. Ich sah keinen Ausweg und nickte. Und irgendwie fühlte ich mich auch etwas erleichtert, dass ich nicht mehr um die Sache herum zu navigieren brauchte:
– Ja, sagte ich und ergänzte schnell: Es war nicht so geplant, wir hatten beide zu viel getrunken … – und sie hatte sich dann ziemlich an mich rangeschmissen … so erschien es mir …
– Verstehe, sagte Enrico bedächtig: Und wie ging’s dann weiter? Ging es überhaupt weiter?
– Zunächst war mir die Geschichte einfach nur peinlich. Aber dann wollte ich sie doch wieder treffen. Ich wollte sie zum Essen einladen, aber sie war total eingeschnappt und machte mir eine Szene …
– Hast du eine Ahnung, weshalb?, wollte Enrico wissen.
– Sie sagte, ich hätte sie enttäuscht …
– Und? Hast du das?
– Ich glaube schon. Ich beginne langsam zu verstehen … Anna ist anders, sie hat etwas Besonderes. Noch nie hat eine Frau in mir die Gefühle ausgelöst wie sie … Vielleicht habe ich die Sache nicht genügend ernst genommen. – Ich konnte sie einfach nicht vergessen. Darum habe ich ihr rote Rosen geschickt …
Die Königin hat Wunder vollbracht
Enrico hob überrascht die Augenbrauen:
– Oh! Du meinst es demnach ernst?
Ich schwieg, wusste nicht, was ich sagen sollte. Das Gespräch hatte eine unerwartete Wendung genommen.
Auch er schwieg eine Weile, dann sagte er leise, wie in Gedanken versunken:
– Die Sexualität ist ein Ausdruck der Liebe … In ihr sind Hingabe und Fülle, feurige Leidenschaft, Schmerz und Erlösung …
Der weisse und der blaue Kai
Dann blickte er mich an und sagte:
– Du trittst mit der Liebe in eine neue Dimension ein, Gil, die dein Dasein erweitert, dich hinüberträgt in das ganz Grosse … Das ist die Kraft der Liebe!
Wieder machte er eine Pause, bevor er sagte:
– Die Liebe der Frau ist stark und doch zerbrechlich. Viele Frauen haben die Liebe zu sich selbst verloren und haben darum auch keine Liebe mehr zu verschenken, – besonders, wenn ihre Liebe enttäuscht worden ist.
In meinem Kopf schwirrten Gedanken und Gefühle. Schliesslich sagte ich:
– Anna ist auf jeden Fall jetzt steinhart … – Und ich weiss auch gar nicht, ob ich bereit wäre, meine Freiheit aufzugeben.
Das Wunder der Salbung
Enrico lächelte mich warm an und sagte:
– Ich war wie du, Gil. Ich musste auch lernen, eine Frau wirklich zu lieben. – Es hat viel mit Warten und Geduld zu tun. Ein Mann muss lernen zu warten, bis die Frau bereit ist. Sie weiss, wann es Zeit ist. Das gilt besonders auch für die Sexualität. Hier braucht der Mann Geduld, damit auch Raum für Zärtlichkeit entstehen kann. Erst wenn ihre Scheide feucht ist, ist der richtige Zeitpunkt, um in sie einzugehen. Dann gilt, sich weiter zurückzuhalten, bis ihr Körper ebenfalls in Richtung Höhepunkt gelangt.
Der Gesalbte
Er schien gerade etwas gedankenverloren und fuhr sanft fort:
– Für mich ist Sex nur erfüllend, wenn die Frau dabei auch auf ihre Rechnung kommt.
Wieder machte er eine Pause, bevor er sagte:
– Wenn ein geschützter Rahmen da ist und Vertrauen, kann man gemeinsam wachsen und Höhenflüge erleben, die sonst nicht möglich sind.
Nun wandte er sich zu mir und blickte mir voller Ernst gerade in die Augen:
– Gil!, sagte er und durchbohrte mich wieder mit seinem eindringlichen Blick: Überleg dir gut, was du tust: Anna ist eine Frau fürs Leben! Wenn du sie gewinnen willst, – was du wahrscheinlich kannst, dann darfst du sie nicht wieder enttäuschen!
Ich ging nachdenklich und reichlich zermürbt nach Hause. Das Gespräch hatte eine völlig andere Wendung genommen, als ich erwartet hatte. Ich hatte es gar nicht mehr gewagt, auf die finanzielle Unterstützung zu sprechen zu kommen. Denn ich hatte den Eindruck, dass es Enrico wichtig war, dass ich zuerst die Sache mit Anna in Ordnung brachte.