Anna im Gespräche mit Nina
Erste Hilfe für Inanna: Ninshuburs Trauer
Ich schüttete meiner Freundin Nina mein Herz aus. Auch ihr stiegen Tränen in die Augen, als sie meine Verzweiflung sah, als ich sagte:
– Weißt du, ich kann einfach nicht mehr! Ich glaube, Thomas hat mich nie wirklich geliebt. Ich glaube, er kann gar nicht lieben.
Er ist auch nicht liebevoll zu mir… in seiner Gegenwart fühle mich nicht liebenswert und manchmal sogar hässlich. Nie hätte ich gedacht, dass ich in eine solche Situation geraten würde!
Unreife Männlichkeit: gnadenlose Härte
Sie schwieg, und so fuhr ich fort:
– Immer, wenn ich versuche, ihm zu sagen, wie es mir geht, bekommen wir Streit. Er fühlt sich wohl bedroht und angegriffen und geht gleich zum Gegenangriff über, indem er kontert, es sei mein Problem und mich auch noch auf meine Fehler hinweist. Dann ticke ich aus … Und setze mich so selber ins Unrecht.
Und er kann dann den Arglosen und Verständnislosen mimen, der ja „gar nichts gemacht hat“. Ich sei ja einfach überempfindlich, meint er.
Damit ist er wieder fein raus, und es ist ja klar: Ich bin die, die spinnt, die ein Drama macht, ihm eine Szene macht, die notorisch unzufrieden ist …
Ich weiss nicht mehr, was ich tun soll, ich fühle mich so elend.
Nina seufzte und schüttelte den Kopf:
– Es ist wohl häufig so, dass der eine Partner – meistens die Frau, schätze ich – die Aggressionen des anderen austrägt.
– Genau! So ist es jedenfalls bei uns!, warf ich ein und fühlte mich verstanden. Als ich weiter in mich hineinspürte, ergänzte ich: Mir ist langsam alles egal. Ich denke, ich wäre glücklicher ohne ihn … Ich weiss gar nicht, ob ich ihn überhaupt noch liebe, ich kann einfach nicht mehr.
Unreife Männlichkeit auch der Frau
Als nächstes wichen meine anfänglichen Tränen der Verzweiflung und dem Zorn. Das fühlte sich schon besser an, ja ich spürte neue Kraft und sagte energisch:
– Ich habe genug von all dem! Das will ich mir nicht länger gefallen lassen!
Nina schwieg eine Weile, dann meinte sie sanft:
– Weisst du, ich mache mir schon lange Sorgen um dich, und auch um eure Beziehung. Es gefällt mir gar nicht, wie Thomas mit dir umspringt. Und das Verrückte ist, er muss bei dir nur gewisse Knöpfe drücken, irgendetwas sagen, und schon geht es bei dir ab, bist du an der Decke …
– Ja!, bestätigte ich: Immer wieder schafft er es, mich ins Bockshorn zu jagen. Dann fällt es mir schwer, mich zu beherrschen …
Mitleid und Erbarmen: die Liebe des Vaters
– So viel ist sicher, fuhr Nina fort: Er hat noch nicht die Reife, die du jetzt brauchen würdest …
Ich nickte nachdenklich und sie meinte:
– Vielleicht würde es dir gut tun, einmal mit jemandem zu sprechen, der weniger involviert und tatsächlich reifer ist…
– Ja, antwortete ich: Daran habe ich auch schon gedacht … Ich dachte, ich könnte wieder mal mit Enrico Kontakt aufnehmen.
– Das ist eine gute Idee!, meinte Nina.
Am nächsten Tag telefonierte ich Enrico und erreichte ihn gleich auf Anhieb:
– Anna! Wie schön, dich zu hören!, sagte er erfreut.
Nur schon seine warme, liebevolle Stimme bewirkte, dass ich einen dicken Kloss im Hals verspürte, sodass ich kaum sprechen konnte. Ich brauchte Gott sei Dank auch nicht viel zu sagen, denn Enrico fragte nicht weiter nach, sondern sagte nur behutsam und ruhig:
– Für dich habe ich immer Zeit! Wann passt es Dir vorbeizukommen?
Dieses kurze Telefonat mit ihm und die Vereinbarung eines Treffens hatten mir schon etwas Ruhe, Stärke und Zuversicht vermittelt.