Goldspur

Der Ewigkeit auf der Spur

Das Gilgamesh-Epos als Turmbau und Sprachverwirrung

Turmbau zu Babel (Deutung des Gilgamesh-Epos)

By on 18. Juni 2024

Turmbau zu Babel (Deutung des Gilgamesh-Epos)

Die Deutung des Gilgamesh-Epos als Turmbau und Sprachverwirrung

Anspruchsvolle Deutung des Gilgamesh-Epos

Das Gilgamesh-Epos als Turmbau und Sprachverwirrung verherrlicht menschliche Eigenmacht und enthält widersprüchliche Botschaften.

Der Anfang des Gilgamesh-Epos enthält eine knappe Schilderung von König Gilgamesh als Tyrann, der junge Männer tötet und junge Frauen vergewaltigt. Im weiteren Verlauf des Epos sind viele Elemente aus der älteren sumerischen Überlieferung zu erkennen, sodass diese zu den Deutungen ebenfalls beigezogen werden.

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Gilgameshs Suche nach dem ewigen Leben (Inhalt und kurze Deutung)
Einführung ins babylonische Gilgamesh-Epos

Die Deutung des Gilgamesh-Epos ist sehr anspruchsvoll, denn es enthält “Geheimnisse” und Codierungen, die nur “Eingeweihte” verstehen können, zum Beispiel jene, welche die ältere sumerische Überlieferung kennen.

Verwirrende Inhalte und Aussagen – “magische” Faszination

Zudem ist das Epos verwirrend. So beinhaltet es auf der einen Seite einander zuwiderlaufende Botschaften, indem die Botschaft der Symbole nicht mit den wörtlichen Aussagen übereinstimmen. Auf der anderen Seite ergeben sich komplett unterschiedliche Aussagen, je nachdem, ob man das Epos chronologisch oder als verschachtelte Erzählung deutet.
Darüber hinaus enthält der Text an entscheidenden Stellen Lücken, weil einige Passagen an Schlüsselstellen wohl schon zur Entstehungszeit oder kurz danach zerstört oder überschrieben wurden.

Gerade der Umstand, dass das Gilgamesh-Epos so schwer verständlich, ja “kryptisch” ist, mag zu seinem “magischen” Einfluss und seiner Faszination über drei Jahrtausende beigetragen haben.

Turm zu Babel von Pieter Bruegel der Ältere (Wikipedia)

Turm zu Babel von Pieter Bruegel dem Älteren (Quelle: Wikipedia)

Die Rolle Babylons in der Bibel

Die babylonische Gefangenschaft des Volkes Israel

Überarbeitung der alten religiösen Texte in Babylon

Die jüdische Überlieferung und damit das Alte Testament wurde zur Zeit der babylonischen Gefangenschaft des Volkes Israel, um 500 v. Chr., neu geschrieben. Es ist anzunehmen, dass die jüdischen Gelehrten Zugriff auf die alten Überlieferungen hatten und sich ebenfalls mit der Deutung des Epos schwer taten. Beachtlich ist, wie sie diese Erzählungen immer wieder im Hinblick auf die Beziehung zu Gott deuteten und auf diese Weise tatsächlich die Brücke zu höheren Ordnungen herstellten. So sind die Geschichten als göttlich inspirierte Texte in den Tanach und damit in die Bibel eingeflossen.

Turmbau und Sprachverwirrung in der jüdischen Überlieferung

In diesem Zusammenhang ist besonders der Turmbau zu Babel und die babylonische Sprachverwirrung zu erwähnen. So steht im 1. Buch Mose, 11, 4-7:

Die Menschen von Babylon sprachen:
Auf, wir wollen uns eine Stadt und einen Turm bauen, und seine Spitze bis an den Himmel! So wollen wir uns einen Namen machen, damit wir uns nicht über die ganze Fläche der Erde zerstreuen!

Und GOTT fuhr herab, um die Stadt und den Turm anzusehen, die die Menschenkinder bauten. Da sprach der GOTT: Siehe, ein Volk sind sie, und eine Sprache haben sie alle, und dies ist ⟨erst⟩ der Anfang ihres Tuns. Jetzt wird ihnen nichts unmöglich sein, was sie zu tun ersinnen. Auf, lasst uns herabfahren und dort ihre Sprache verwirren, dass sie einer des anderen Sprache nicht ⟨mehr⟩ verstehen!

Der eigenmächtige Mensch ohne Gott

Der Text besagt, dass die Menschen in Babylon einen Turm bis zum Himmel bauten, um sich “einen Namen” zu machen (s. “Der Turm zu Babel” im Bibelserver). Dies passt zum Gilgamesh-Epos, welches den Menschen glorifiziert, der in Eigenmacht lebt und auch Macht im Geist (Himmel) ausübt. Damit enthält das Epos eine “göttliche”, nämlich geistige Botschaft und Bestätigung für ein ganzes Kollektiv, das sich von den Göttern losgesagt hat. Letzteres ist in diesem Zusammenhang sogar nachvollziehbar, weil die Götter im Gilgamesh-Epos als launisch, rachsüchtig, unberechenbar, egoistisch und gewalttätig dargestellt werden.

Gott als Zerstörer der Einheit? EnLil, Gott des Krieges!

In Babylon und im Gilgamesh-Epos wird die Göttin der Liebe zur Hure erklärt und EnLil, der Gott der Luft, der jugendlich-stürmische und invasive Macho-Männlichkeit symbolisiert, zum höchsten Gott erhoben. Er wird im Epos auch für die grosse Flut verantwortlich gemacht und stellt als der Gott der Macht, des Krieges und des Sturms den negativen Antrieb (Animus) als Teufel oder Tier dar. So kann wohl eine Kultur, die nur streitsüchtige Götter kennt, auch keine Einheit und Verständigung finden.

Das Gilgamesh-Epos als Turmbau und Sprachverwirrung

Die Anbetung unreifer Götter durch unreife Menschen: Macht!

Im Gilgamesh-Epos steht also zunächst der unreifen und machtorientierten Männlichkeit ebenso unreife Weiblichkeit gegenüber, symbolisiert durch die Göttin (Anima) als HURE oder die SCHLANGE, welche Verführung, List und Lüge symbolisiert. Doch im dritten Teil treten reife Männlichkeit und Weiblichkeit als Archetypen für Gottes Geist der Ganzheit auf (C.G. Jung nennt das göttliche Paar die Syzygie). Es ist das Paar, das die grosse Flut überlebt hat und in den Stand der Götter erhoben worden ist. Diese Einheit, voller mitfühlender Weisheit, hilft Gilgamesh weiter auf seinem Heldenweg.

Legitimierung eines Systems der Macht: noch immer aktuell!

Doch diese Perlen beziehungsweise das Lebenskraut, das im Epos verborgen liegt, muss man finden und ausgraben. Denn überaus dominant wird das System von Macht, Lügen und Skrupellosigkeit dargestellt, welches auch vor dem Himmel nicht zurückschreckt … Ein Phänomen, das auch heute noch nicht überwunden ist, ja vielmehr zurzeit gerade einem Höhepunkt zuzustreben scheint.

Die Hure und das Tier (Feuer und Eis)

Neues Testament: die Hure und das Tier für Sprachverwirrung und Turmbau

Dies wurde denn auch im Neuen Testament, in der Offenbarung (Kapitel 17) für die letzte Zeit vorhergesagt. Beschrieben wird die Hure Babylon, die auf dem Tier reitet. Diese beiden Archetypen der Macht stehen für weisse und schwarze Magie, nämlich für Verführung und Verblendung auf der einen Seite (HURE) und Unterdrückung und Gewalt auf der anderen (TIER). Die weisse Magie findet sich in der sogenannten “Sprachverwirrung” (Lügen, Parolen, Fake News), indem die Texte umgeschrieben wurden und zum Teil kaum Sinn machen. Die schwarze Magie findet sich im Turmbau, indem der Mensch der Macht mit Gewalt den “Himmel”, also Herrschaft im Bereich des Geistes, erobert.

In der Auseinandersetzung mit dem Gilgamesh-Epos drängt sich daher diese Schlussfolgerung auf:

Das babylonische Gilgamesh-Epos selbst stellt den Turmbau zu Babel und auch die babylonische Sprachverwirrung dar, von welchen im Alten Testament die Rede ist. Als die Machtfaktoren der Endzeit sind diese archetypischen Erscheinungen auch in der Offenbarung des Neuen Testaments zu finden, vertreten durch die Hure Babylon und das gefrässige und lästernde Tier.

Und damit nun zur Sprachverwirrung und zum Turmbau als Herausforderungen bei der Deutung des Gilgamesh-Epos im Einzelnen:

1. Die babylonische Sprachverwirrung

Eine Botschaft in der gebrannten Erde

In Keilschrift auf Tontafeln für die Ewigkeit eingebrannt ist das Epos mehr als nur ein Schriftdokument. Es beinhaltet eine Botschaft, welche aufgrund ihrer offenen Verherrlichung von Gewalt zur Traumatisierung von Menschen geführt hat. In Tolkiens «Herr der Ringe» wird diese Umwandlung oder «Neuschöpfung» bildhaft durch die Züchtung der Uruk-Hais dargestellt (Uruk als die Stadt des Gilgamesh).
Als «Glaubenssätze» einer neuen Weltordnung wirken sie bis heute destruktiv und sind darum Teil des “Fluches”, der auch “Erbsünde” genannt wird.

Keilschrift nach Niebuhr (Wikipedia)

Widersprüchliche Aussagen von Text und Symbol im Gilgamesh-Epos (Abbildung: Keilschrift nach Niebuhr, Quelle: Wikipedia).

Das Gilgamesh-Epos als Double-Bind-Botschaft

Dabei geschieht die Traumatisierung auch durch eine “Sprachverwirrung”, so dass der Mensch nicht mehr weiss, was er glauben soll. Denn das babylonische Gilgamesh-Epos enthält zwei sich widersprechende Botschaften, indem nämlich die Botschaft der Symbole nicht mit jener der Worte übereinstimmt. Dies nennt man “Double-Bind”.

Double-Bind: Verwirrung und Lähmung des Empfängers

Eine “Double-Bind”-Botschaft ergeht, wenn gleichzeitig zwei sich widersprechende Inhalte kommuniziert werden, wobei die Erfüllung des einen die Erfüllung des anderen verunmöglicht. Zum Beispiel: “Wasch mich! Aber macht meinen Pelz nicht nass!”.
Das Resultat ist hilflose Lähmung wie ein Kaninchen vor einer Schlange, im Sinne von: “Ja … Was soll ich denn nun??” (Ich werde ja ohnehin gefressen!)

Inhaltliche Widersprüche in den verbalen und symbolischen Aussagen

Eine solche Widersprüchlichkeit findet sich im Gilgamesh-Epos. Denn einerseits verherrlichen die Wörter in wiederkehrenden Versen wie Mantras König Gilgamesh als siegreichen Gewaltherrscher. Doch andererseits erzählen die Symbole eine vollkommen andere Geschichte, nämlich jene vom Heldenweg des Menschen zum ewigen Leben, vom Gewaltherrscher zum guten König. Indem stolze Eigenmacht zerbrochen wird und das persönliche Versagen erkannt wird und indem eine Hinwendung zu Warmherzigkeit und Mitgefühl geschieht, steht der Zugang zum ewigen Leben offen.

Die Sprache des Verstandes vs. die Sprache des Körpers

Die Widersprüchlichkeit der Botschaft ist möglich, weil Worte sich an den Verstand richten, während Bilder und Symbole hingegen die Sprache des Körpers sprechen (s. Die Sprache der Bilder und der rationale Verstand). Ein Brücke kann gemacht werden, indem Symbole mit ihrer universalen Sprache für den Verstand übersetzt werden, sodass auf diese Weise die Textlücken im Gilgamesh-Epos ergänzt werden können.

Diese Methode liegt den ausführlichen Episoden zur Deutung des Gilgamesh-Epos zugrunde.

Hier geht es direkt zum Start:

Gilgamesh – Königgott und Tyrann von Uruk

 

Das “Double-Bind”-Dilemma im Gilgamesh-Epos

Das erwähnte Dilemma zwischen Wort und Symbol im Gilgamesh-Epos ist geeignet, den Empfänger in Verwirrung und in ein Gefühl von Ohnmacht zu stürzen.
Denn konkret lautet die zentrale “Double-Bind”-Botschaft des Gilgamesh-Epos:

“Wahrer Held mit ewigem, göttlichem Ruhm ist, wer vor nichts zurückschreckt, über Leichen geht und auf diese Weise sogar den Himmel einnimmt!
Aber:
Wer Unrecht tut, wird von den Göttern bestraft und verliert alles.”

Dies ist wahrhaft eine Schlange, die sich in den Schwanz beisst. So endet denn auch das Gilgamesh-Epos mit denselben Worten, mit denen es begonnen hat. – Ist es der sich immer wiederholende Kreis des Lebens mit schicksalsmässigen Verstrickungen, Karma genannt oder handelt es sich um eine neue Chance? Vielleicht beides.

Alchemistische Schlange (Quelle: Wikipedia)

Fazit:
Der Widerspruch zwischen den verbalen und den symbolischen Aussagen im babylonischen Gilgamesh-Epos – das ist die babylonische Sprachverwirrung!

Gott-der-Luft-2

2. Der Turmbau zu Babel

Die Symbolik im Turmbau

Und damit nun zum Turmbau zu Babel. Dem Turmbau selbst wird ja bereits in der Bibel eine symbolische Bedeutung gegeben, indem er mit dem menschlichen Bestreben, eigenmächtig den Himmel zu erobern, in Verbindung gebracht wird. So steht er als Ganzes für den Menschen, der hoch hinaus will und sich dabei nicht um höhere Ordnungen schert.

Der Turmbau als Frage der Deutung

Chronologische oder verschachtelte Erzählung?

Doch für das Verständnis der Botschaft des Gilgamesh-Epos ist auch ein anderer Aspekt von entscheidender Bedeutung. Es handelt sich dabei um die Frage, ob die Erzählung chronologisch, als fortlaufende Geschichte, oder verschachtelt gedeutet wird. Denn je nachdem ergibt sich eine komplett andere Aussage.

Das Zikkurat von Urnammu, Ur

Chronologische Deutung: alles in zeitlicher Reihenfolge

Die chronologische Deutung reiht die erzählten Ereignisse aneinander. Also: zuerst geschieht dies, dann das und weiter jenes … Mit dieser Deutung türmen sich die Untaten des Gilgamesh immer weiter auf, von der Erde über mystische Gefilde bis in den Himmel.
Passend dazu stellt auch der babylonische Palast, das Zikkurat, ein Auftürmen von Gebäudekomplexen dar (s. Abbildung oben).

Verschachtelte Deutung: verschiedene Blickwinkel auf das Thema

Die verschachtelte Erzählweise hingegen erzählt dieselbe Geschichte aus verschiedenen Blickwinkeln, um auf diese Weise die komplexe Wahrheit darzustellen. Diese Blickwinkel ergeben sich aus den drei Bereichen der Existenz: Körper/Materie, Seele und Geist (Meta-Ebene).
Passend dazu besteht zum Beispiel das Heiligtum des Volkes Israel in der Wüste aus drei verschachtelten Bereichen, welche Körper, Seele und Geist den Zugang zum Allerheiligsten symbolisieren (s. Abbildung unten).

Das Heiligtum in der Wüste
Zelt der Begegnung in der Wüste (Grundriss)

Verschachtelte und bildhafte Erzählweise im Altertum

Die alten Überlieferungen, so auch vor dem Gilgamesh-Epos die sumerische Mythologie von Inanna, verwenden die verschachtelte Erzählweise. Das heisst, sie erzählen zunächst, was konkret – auf der materiellen Ebene – geschah. Darauf folgt eine nächste Erzählung, welche – wiederum in Bildern – die Fragen dazu beantwortet. Diese sind zum Beispiel: “Wie kommt es, dass der Held sich auf eine bestimmte Weise verhalten hat?”. Und: “Was sind denn nun Konsequenzen für ihn und auch für das Kollektiv?”. – Themen wie diese gehören zum immateriellen Bereich der Seele und des Geistes, welcher jedoch wiederum den körperlich-materiellen Bereich beeinflusst.

So lässt sich durch die verschachtelte Erzählweise, welche die verschiedenen Bereiche berücksichtigt und unterschiedliche Zugänge zur Wahrheit ermöglicht, ein komplexes, umfassendes Bild zeichnen, mit Schlussfolgerungen, welche Weisheit vermitteln.

 Die drei Aspekte der verschachtelten Betrachtungsweise (Körper – Seele – Geist)
  1. Die körperlich-materielle Ebene widmet sich der Frage: Was hat sich effektiv zugetragen?
  2. In einem nächsten Schritt wird die Seele und mit ihr die Motivlandschaft ausgeleuchtet, zum Beispiel mit der Frage: Wie kommt es, dass das, was so gut begann, derart auf die schiefe Ebene geriet? Motiv und Antrieb werden dabei häufig durch unrealistische Archetypen dargestellt wie Hexen oder Magier und im Gilgamesh-Epos zum Beispiel durch Skorpion-Menschen oder den Himmelsstier. So geht diese Ebene der Seele den Gefühlen, Gedanken und dem Willen auf den Grund.  
  3. Zuletzt wird das Geschehen auch noch aus der geistigen Ebene, der Meta-Ebene betrachtet. Hierbei geht es um umfassendere und kollektive geistig-immaterielle Themen wie: Was waren die tieferliegenden Einflüsse, die zum Geschehen geführt haben und was sind die Konsequenzen, auch im Hinblick auf höhere Ordnungen (“Gott”) oder die Zukunft? Dabei steht letztlich die Frage im Mittelpunkt: Was ist dabei für den Menschen und für den Fortbestand des Lebens überhaupt wichtig und gut?

(Zur Dreiteilung s. auch Der Mensch, 3-in-1; Körper, Seele und Geist und Das Heiligtum 3-in-1 als Symbol für Ganzheit.)

Bildhaft oder verschachtelt: das Spiel mit den Förmchen …

Bildhaft lassen sich diese beiden Deutungsmöglichkeiten ganz einfach durch drei “Förmchen” visualisieren, die entweder ineinander verschachtelt oder zu einem Turm aufeinander gestapelt werden können:

Turmbau

Turmbau:
chronologisches Verständnis
Aneinanderreihen von Tat-Sachen

Tiefe Weisheit als «box in boxes»

Verschachtelte Erzählweise:
verschiedene Perspektiven desselben
(Box in Boxes)

Beim Gilgamesh-Epos führen die beiden Deutungsvarianten “Turmbau” und Verschachtelung (“Box in Boxes”) jeweils zu einer komplett anderen Aussage!

Vergleich der beiden Deutungsmethoden im Hinblick auf den Inhalt

Turmbau – chronologische Erzählung

Unrecht bis zum Himmel

Liest und deutet man das babylonische Gilamesh-Epos chronologisch, so erhält man die Geschichte eines Draufgängers, der sich nimmt, was er will, immer höher steigt und auf diese Weise  sogar den Himmel erobert.

Verschachtelte Erzählung: Weisheit

Wahrheit von Körper, Seele und Geist

Betrachtet man das Epos aber genauer, entdeckt man aufgrund der Symbolik, dass sich darin gewisse Inhalte wiederholen. Dies gleicht einer spiralförmigen Bewegung, die immer wieder an denselben Eckpunkten vorbeikommt.

Teil I (Körper): Gilgamesh und Enkidu – der Despot und sein tierischer Freund

Hier geht es um die körperlich/materielle Ebene. Der erste Teil ist bei beiden Deutungsvarianten logischerweise gleich. 

Turm: Gilgamesh und sein tierischer Freund Enkidu begehen “Heldentaten”. Sie fürchten dabei den feuerspeienden Berg und fällen die eine hohe Zeder und weitere Zedern. Auch töten sie den gefürchteten Chumbaba, Herr des Zedernwaldes. Als Gilgamesh die Göttin der Liebe abwertet, lässt sie den Himmelsstier auf ihn los, den er ebenfalls tötet. Damit hat er den Bogen endgültig überspannt. Als Strafe lassen die Götter darum Enkidu sterben.

Boxes: Gilgamesh begeht mit seinem Trieb (Enkidu) Untaten, obwohl sich die beiden vor dem Vulkan (das Weibliche als Schicksal) fürchten. Sie vergewaltigen Frauen (“fällt Zedern”) und fällen auch die eine hohe Zeder (Hohepriesterin?) und töten den Herrn des Zedernwaldes (Gemahl oder Vater?) … Seine Gattin kommt dahinter und macht ihm buchstäblich die Hölle heiss (als “Himmelsstier”). Die Leidenschaft in der Beziehung (“Enkidu”) ist gestorben und sie wirft ihn raus.

Teil II (Seele): Gilgameshs Reise zum Meer – falsche und echte Beziehungen

In einer zweiten Phase macht sich Gilgamesh auf den Heldenweg, um das ewige Leben zu finden. Dieser Abschnitt behandelt Motive und Beziehungen.

Turm: Gilgamesh begibt sich nun auf eine Reise, um das ewige Leben zu finden. Als erstes trifft er auf zwei Skorpion-Menschen, Mann und Frau. Danach muss er 120 km unter dem Berg durch die Dunkelheit gehen. Wieder am Licht sieht er Edelsteinbäume. Am Meer angelangt gewinnt er das Vertrauen einer Schenkin, die ihm sagt, wie er über das Meer fahren kann. Der Fährmann bringt ihn über die Wasser des Todes, obwohl er die Steinernen zerschlagen hat, die ihn hätten hinüberbringen sollen und obwohl sämtliche seiner selbstgefertigten Ruderstangen brechen. – Auch hier findet Gilgamesh eine Lösung, hängt seine Kleider als Segel an den Mast und segelt hinüber.

Boxes: Hier kommt nun die Antwort auf die Frage: Warum ist die Beziehung zerbrochen? Die Skorpion-Menschen symbolisieren Gilgamesh und seine Frau, in ein tödliches Machtspiel verstrickt. Darum der Weg unter dem Berg: Die Dunkelheit steht für Unbewusstheit und Triebhaftigkeit (er körperlich, sie seelisch – geistig). Danach erkennt Gilgamesh, dass er auf weibliche Verführung hereingefallen ist (die Edelsteinbäume). Mit der Schenkin erfährt er zum ersten Mal eine Beziehung. Doch seine Frau (“Fährmann”) findet ihn bei ihr und konfrontiert ihn mit seinen Untaten (Fällen und Brechen von Jungfrauen). Um zu ihr zurückkommen zu können, muss er (sein Ego) sterben.

Teil III (Geist): Der Mann, der die grosse Flut überlebte – die Krise der mittleren Jahre

Die dritte Phase führt Gilgamesh über die Wasser des Todes zu dem Mann, der die Grosse Flut überlebt hat und in den Stand der Götter erhoben worden ist. Von ihm erfährt er, wie das ewige Leben gewonnen wird. Dabei wird ihm auch sein eigenes Versagen vor Augen geführt. 

Turm: Gilgamesh hat die Wasser des Todes überquert und trifft auf der anderen Seite auf den Mann, der die grosse Flut überlebt hat und in den Stand der Götter erhoben worden ist. Ihn fragt Gilgamesh nach dem ewigen Leben und erhält als Antwort die Geschichte von der grossen Flut, die er dank eines grossen Schiffes überlebt hat. Danach fordert er Gilgamesh auf, sieben Tage nicht zu schlafen, um so das ewige Leben zu gewinnen. Sofort schläft Gilgamesh ein und schläft gleich sieben Tage durch. Sein Versagen wird ihm anhand von sieben Broten glaubhaft gemacht, die er dabei versäumt hat zu essen. Der Fährmann wird nun angewiesen, Gilgamesh neue Kleider zu geben und ihn nach Hause zu bringen. Zudem erhält er noch einen Tipp, wie er das ewige Leben erlangen kann. Er muss das stachelige Unsterblichkeitskraut vom Meeresgrund bergen.

Boxes: Der Mann, der die Flut überlebt hat, und eine Frau bilden gemeinsam, in ihrer Einheit, die “göttliche Vision”: Ganzheit als das Ziel. Die Flut symbolisiert das aufgewühlte Weibliche in der Krise der mittleren Jahre, bereit, aus Wut alles über Bord zu werfen. Hier erfolgt der Rat an den Mann: “Mach deine Luke dicht, bewahre was ihr errungen habt und warte, bis sich der Sturm gelegt hat. Denn du hast dein ganzes Leben (die sieben Tage!) in Unbewusstheit (Lieblosigkeit) “verschlafen”, und so versäumt, “dein tägliches Brot” zu nehmen (göttliche Weisheit)! Diese besteht darin, dass du mit Liebe und Hingabe deiner Partnerin (als das stachelige Kraut) hilfst, aus der Negativität (der Meeresgrund für Unbewusstheit, Schmerz und Zorn; der Meeresgrund) zu kommen!”. – An die Partnerin (als “Fährmann”) ergeht dabei die Weisung: “Vergib ihm (gib ihm reine Kleider) und gib ihm nochmals eine Chance (lass ihn nach Hause kommen)!

Zusammenfassung und Ausklang: Das Unsterblichkeitskraut (die Partnerin)

Der Schluss bildet nochmals eine Zusammenfassung, in welcher die entscheidenden Elemente vorkommen: Die Einheit von Mann und Frau als Ganzheit mit Ewigkeitsbestand, das Versagen des Mannes, Zorn und Vergebung der Frau und damit eine neue Chance)

Turm: Mit dem Fährmann unterwegs nach Hause gräbt Gilgamesh also einen Schacht, um an das Unsterblichkeitskraut zu gelangen (er schläft wieder mit seiner Frau?). Doch er will das Kraut nicht selbst einnehmen, sondern lieber an einem Greis ausprobieren. Als er in einen Brunnen steigt (den Schoss einer anderen?), um sich zu erfrischen, kommt eine Schlange, stiehlt das Kraut und lässt ihre alte Haut liegen. Gilgamesh ist verzweifelt und weint. Zudem steigt nun die Flut aus dem Schacht, den er gegraben hatte. Dennoch kommen er und der “Fährmann” 🙂 wieder nach Uruk zurück und so endet die Story mit den Worten, mit denen sie begann … wieder von vorne!

Boxes: Gilgamesh ist nun also wieder mit seiner Frau unterwegs nach Hause. Wie wurde das möglich? Er sagte ihr: “Weisst du, ich bekam einfach Lust (Erfrischung im Brunnen) …, aber das hat nichts mit Liebe zu tun, sondern ich bin dabei auf Verführung (Schlange) reingefallen. Erst als du mich rauswarfst, merkte ich, was ich verloren hatte … (das Kraut gestohlen). Es ist zum Aus-der-Haut-Fahren! Es tut mir so leid, dass ich dich wegen meines Triebes (“Werkzeug”) so enttäuscht habe und darum stieg die Wut-Flut an). Ich war eben noch nicht bereit für eine richtige Beziehung (das Kraut an einem Greis ausprobieren)!” Da Gilgamesh mit seinen Tränen aufrichtige Reue zeigt, bekommt er eine neue Chance (Haut der Schlange für Tod und Wiedergeburt).

Auf ins Abenteuer!

Die spannenden Pfade der Deutung

Der Leser möge selbst beurteilen, ob er dieser Deutung etwas abgewinnen kann. In diesem Beitrag sind jedoch nur ein paar wenige Eckpfeiler erwähnt. Die ausführlichen Deutungen mit Erklärungen und Begründungen finden sich in den einzelnen Episoden.

Für einen Überblick:

Gilgameshs Suche nach dem ewigen Leben (Zusammenfassung und kurze Deutung)

Einheit von männlich und weiblich als Weg zur Ganzheit

Es mag vielleicht etwas überraschend erscheinen, die ganze sagenumwobene Magie auf diese Weise zu entzaubern, indem sich schliesslich alles auf die Paarbeziehung reduziert. Doch stimmt es auch nachdenklich, dass die ersten menschlichen Überlieferungen der Beziehung zwischen Mann und Frau eine derart grosse Bedeutung einräumen. Dies mag in der Tatsache begründet liegen, dass nur aus dieser Einheit neues Leben und neue Realität entstehen können, nämlich aus der Einheit von Geist und Materie, männlich und weiblich. Das Ziel ist, dass jeder Mensch beides in sich selbst vereint und so Ganzheit (sein Selbst) gewinnt.

Willkommen zu Gilgameshs Reise mit den einzelnen Episoden und detaillierten Deutungen.

Los gehts mit:

Gilgamesh, Königgott und Tyrann von Uruk (Prolog)

Der sumerische Schöpfungsbericht: "Da hisste ER dr ie Segel ..."

Zurück zu:

Gilgameshs Suche nach dem ewigen Leben (Zusammenfassung und kurze Deutung)
Einführung ins babylonische Gilgamesh-Epos

Weiter geht es mit:

Start des Epos: Gilgamesh – Königgott und Despot von Uruk   

Erwähnte Überlieferungen:

Inanna, die sumerische Göttin der Liebe (Zusammenfassung)
Inanna und die zornige Herrin der Unterwelt
Die Hure Babylon auf dem Tier   

Beiträge zu Archetypen:

Der negative Animus als Teufel oder Tier
Der Gott der Luft
Die negative Anima (Göttin) als Hure oder Schlange
Ich bin Lilith, die dunkle Jungfrau
Das Grosse Weibliche, das Leben selbst, in der Unterwelt 
Ereshkigal, Herrin der Unterwelt
Der zweite Schöpfungsbericht der Bibel: die Männin
Die dunkle Fee als Schicksalsgottheit (Disney’s Maleficent)
Vulkane, der Schicksalsberg und die grosse Mutter

Die grosse Erbsünde und der Fluch
Missbrauch und Erlösung in menschlichen Überlieferungen
Der vergiftete Apfel – Missbrauch als kollektive Realität
Dunkle Geheimnisse als Fluch

Vater und Mutter, Geist und Materie
Gott, Ganzheit, 3-in-1, männlich und weiblich
Ruach, Geist Gottes – männlich und weiblich

Weiterführende Beiträge:

Die Sprache der Bilder und der rationale Verstand
Bilder und Symbole – die Sprache des Unbewussten

Männlich und weiblich, die beiden Ur-Kräfte der Schöpfung
Männlich und weiblich und die Erschaffung neuer Realität
Der Mensch 3-in-1, Körper, Seele und Geist
Das Heiligtum 3-in-1 und der Weg zu Ganzheit

Weisse und schwarze Magie: Wenn die Geister sich scheiden
Der Trieb
Sterben und Auferstehen: Im Hier und Jetzt!

Der Weg durch die Unterwelt als Weg zu Ganzheit
Der Heldenweg, Weg der Liege
Vom Ego zum Selbst
Das Selbst, die Identität der Liebe
Königsherrschaft im Leben


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