Der vergiftete Apfel
Nach einer Kunstpause säuselte sie weiter:
– Zum Beispiel der junge Jäger, – vielleicht erinnerst du dich? Ich glaube, er brachte dir das Reiten bei? – Na ja, wie auch immer … Auch er war, wie alle Männer, meinen Reizen komplett ausgeliefert. Er verlor die Fassung, wenn er in meiner Nähe war … Da machte ich mir einen Spass daraus, mich ein bisschen mit ihm zu vergnügen, wenn du verstehst, was ich meine? – Schliesslich ist der König ja viel zu selten hier. Und unter uns gesagt: Wer weiss, was er so treibt, wenn er unterwegs ist? – Wie dem auch sei, der Jäger – er hiess Johan, wenn ich mich recht erinnere … Er war ja nur ein kleiner Angestellter, aber soo leidenschaftlich! Dann musste er leider weg … Aber bevor er ging, gab er mir noch dies hier zur Erinnerung oder so …
Sie hob Lilianas Kettchen mit der Taube in die Luft und liess es vor ihrer Nase baumeln.
– Hattest du nicht einmal etwas Ähnliches?, fragte sie gespielt unwissend.
Liliana erkannte das Kettchen, das sie Johan geschenkt hatte, und erbleichte.
Mit Genugtuung und geheucheltem Erstaunen sagte die Königin:
– Oh, war es am Ende sogar deines?
Liliana schwieg und blickte es erstarrt an. Tränen standen in ihren Augen. Die Königin fuhr mit weicher Stimme fort:
– Ach! Meine Tochter, nimm es nicht so tragisch! – Aber eines muss ich dir noch sagen: Männer bevorzugen reife Frauen, Frauen mit Erfahrung!
Mit einem kalten Lächeln wünschte die böse Königin Liliana eine gute Nacht und drückte ihr mit harten Lippen einen Kuss auf die Stirn, dann verliess sie das Zimmer.
Ohnmacht
Die junge Frau blieb aufgewühlt zurück. Sie hatte nicht erwartet, von ihrer Mutter Gutes über Männer zu hören, … aber das war zu viel für sie. Der Jäger Johan, der Mann, der ihr Herz gewonnen hatte, dem sie ihr Kettchen geschenkt hatte … War das möglich? Wie war die Königin an das Kettchen gekommen?
Liliana verspürte einen schmerzhaften Stich in der Herzgegend, wenn sie nur schon daran dachte. Oh, sie hasste ihre Stiefmutter! Sie hasste, was sie ihr gesagt hatte, und war darüber verwirrt und am Boden zerstört. Sie warf sich aufs Bett und weinte. Die Königin, die noch geblieben war, um an der Tür zu lauschen, wandte sich zufrieden ab und ging davon.
Die traurigen Zwerge und der Glassarg
Die sechs Heiratskandidaten erhielten alle eine Absage. Sie waren darüber traurig, denn sie hatten die sanfte Schöne in ihr Herz geschlossen. Gerne hätten sie sie glücklich gemacht und ihr Leben und ihre Kraft für sie gegeben. Sie war die Frau ihrer Träume gewesen …
Die drei Vögel: Eule, Rabe, Taube
Schneewittchen wurde krank und blieb die nächsten Tage im Bett. Nun hatte sie viel Zeit, um nachzudenken. Langsam wurden ihre Gedanken klarer. Sie erkannte, dass sie nie wie die böse Königin werden wollte, die dürch Erotik über die Männer, auch über ihren Vater, herrschte (Eule). Sie dachte: „Die Königin hat kein Herz (Rabe). Aber ich habe ein Herz, und ich will lieben!“ (Taube). Bei diesem Gedanken kam ihre aufgewühlte Seele wieder zur Ruhe.